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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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völlig außer Frage.«
    So mußte ich denn in den sauren Apfel beißen, und versprach, die alte Dame noch heute zu besuchen.
    Indem der Bürgermeister sich entfernte, fragte ich noch: »Was war denn der Selige für ein Mann?«
    »Hm! Ich denke, ein Lebemann!« erwiderte er. »Es ist einst flott hergegangen dort; man sagt, das Ehepaar habe sich einander nichts vorzuwerfen gehabt. Ich war damals ein Junge; aber sie sah noch nicht so übel aus, als der Alte in die Grube fuhr, und es gab noch manches Gläserklingen mit jungen vornehmen Herren in dem großen Saale des Hinterflügels; aber endlich – das Lustfeuerwerk ist verpufft, der schmucke Leib verdorrt; statt der Gläser läßt sie jetzt ihre Gold- und Silberstücke klingen.«
    – – Bald darauf trat ich ohne Hindernis in das Haus und in das Zimmer der Kranken, zu welchem letzteren eine von der Stadt bestellte Wärterin mir die Tür geöffnet hatte.
    Es war ein seltsamer Anblick. Auf den Stühlen, von deren Polstern die Fetzen herabhingen, lagen auf den einen verschlissene Kleider und Hüte, auf den anderen standen Töpfe und Pfannen mit kärglichen Speiseresten; an der schweren Stuckdecke und an den gardinenlosen Fenstern hing es voll von Spinngeweben. Eine seltsam tote Luft hielt mich einen Augenblick zurück, so daß ich mich nur langsam dem großen an der einen Wand stehenden Himmelbette näherte.
    Als die Wärterin die bestäubten Vorhänge zurückzog, hörte ich ein Klirren wie von einem schweren Schlüsselbunde, das, wie ich nun sah, von einer kleinen dürren Hand umklammert war, und eine winzige, in einen alten Soldatenmantel eingeknöpfte Gestalt suchte sich aus den Kissen aufzurichten. Das kleine runzelige Gesicht meiner Nachbarin starrte mich aus seinen grellen Augen an. »Jag die Hexe fort!« schrie sie und schlug mit den Schlüsseln gegen die Vorhänge, daß die Wärterin erschreckt zurücksprang; dann, sich zu mir wendend, setzte sie in hohem Ton hinzu: »Sie wollten sich nach meinem Befinden erkundigen, Herr Nachbar; ich danke für Ihre Aufmerksamkeit; aber – man hat mir eine Person hier aufgedrängt; es scheint, als wolle man mich überwachen!«
    »Aber Sie hatten einen Unfall; Sie bedürfen ihrer!« sagte ich.
    »Ich bedarf keiner bestellten Wärterin; ich kenne diese Person nicht!« erwiderte sie scharf. »Allerdings, heute nacht – man hat mich berauben wollen; es tappte auf dem Hausboden, vermummte Gestalten stiegen zu den Dachluken herein; es klingelte im ganzen Hause –«
    »Klingelte?« unterbrach ich sie und mag dabei wohl etwas verwundert ausgesehen haben; »das pflegen doch die Räuber nicht zu tun.«
    »Ich sage, es klingelte!« wiederholte sie mit Nachdruck. »Mein Herr Neffe, der Chef der hiesigen Polizei – ich pflege ihn nur das Schaf der Polizei zu nennen – ist zu dumm, um die Spitzbuben einzufangen! Er war höchstpersönlich hier und suchte mir einzureden, daß ich das alles nur geträumt hätte. – Geträumte Spitzbuben!« – Ein unaussprechlich höhnisches Kichern brach aus dem zahnlosen Munde. – »Er möchte wohl, daß auch mein Testament nur so geträumt wäre!«
    Der Polizeimeister hatte ein kinderreiches Haus und eine nicht zu große Einnahme. Ich dachte deshalb ein gutes Wort für die Blutsverwandtschaft einzulegen und fragte wider besseres Wissen: »Ihr Herr Neffe befindet sich also nicht unter Ihren Testamentserben?«
    Die Alte fuhr mit dem Arm über die Bettdecke und öffnete und schloß die Hand, als ob sie Fliegen fange. »Unter meinen Erben? – – Nein, mein Lieber; mein Erbe ist der, den ich zu bestimmen beliebe; – und ich habe ihn bestimmt!«
    Sie begann nun mit sichtlicher Genugtuung mir den Inhalt des Testamentes auseinanderzusetzen, wie er mir im wesentlichen schon bekannt war.
    »Aber jene Stiftung«, sagte ich, »soll ja an sich sehr reich dotiert sein!«
    »So, meinen Sie?« erwiderte die Alte. »Aber es ist nun einmal meine Freude! Die alten Taugenichtse sollen was Besseres in ihre Fläschchen haben; bis jetzt wird es wohl nur Kartoffelfusel gewesen sein. Nach meinem Abscheiden sollen sie Jamaikarum trinken, der dreimal die Linie passiert ist.«
    »Und die vielen hübschen Kinder Ihres Verwandten?«
    »Ja, ja!« sagte sie grimmig. »Das vermehrt sich und will dann aus anderer Leute Beutel leben! Ich, mein Herr Stadtsekretär« – sie schnarrte das Wort mit einer besonderen Schärfe heraus –, »ich habe keine Kinder.«
    Noch einmal strengte ich meine Wohlredenheit an: sie möge wenigstens ein

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