Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
den Resten alter, sogar seidener Frauenkleider angefertigt schienen.
    So gesprächig die Alte bei meinem ersten Besuche gewesen war, so wortkarg war sie heute; mit zitternden Händen setzte sie einen Beutel nach dem anderen vor uns hin, mit stummen fast schmerzlichen Blicken verfolgte sie das Zählen des Geldes, das Versiegeln der Beutel, das Numerieren der Etiketten. – Obwohl die einzelnen Münzsorten sorgsam voneinander gesondert waren, so dauerte die Aufnahme der Wertpapiere und des Barbestandes doch bis in den Abend hinein; zuletzt arbeiteten wir bei dem Lichte einer Talgkerze, die in einem dreiarmigen Silberleuchter brannte.
    Endlich wurde der letzte Beutel ausgeschüttet. Er enthielt jene schon derzeit seltenen Vierschillingstücke mit dem Perückenkopfe Christians des Vierten, welche in dem Rufe eines besonders feinen Silbergehaltes standen. Als auch der beseitigt war, fragte ich, ob das nun alles, ob nichts mehr zurück sei.
    Die Alte blickte unruhig zu mir auf. »Ist das nicht genug, mein Lieber?«
    – »Ich meinte nur, weil sich gar keine Goldmünzen unter dem Barbestande finden.«
    »Gold? – In Gold bezahlen mich die Leute nicht.«
    – Somit wurde das Protokoll abgeschlossen, und, nachdem die Alte in zwar unsicherer, aber immer noch zierlicher Schrift ihr »Botilla Jansen« daruntergesetzt hatte, war das Geschäft beendet; die Wertpapiere wurden in eine Kiste gelegt, deren Schlüssel ich an mich nahm; diese selbst und die Barbestände sollten am anderen Tage in mein Haus geschafft werden.
    Als ich mit dem Notar auf die Straße hinausgetreten war, bemerkte ich, daß mir ein silberner Bleistifthalter fehle, den ich bei dem Notieren der Geldsummen benutzt hatte. Ich kehrte sofort um und lief rasch die Treppen wieder hinauf; aber ich prallte fast zurück, als ich nach flüchtigem Anklopfen die Tür der Kammer öffnete. Im Schein der Unschlittkerze sah ich die Alte noch immer an dem Tische stehen; ihre eine Hand hielt einen leeren Beutel von rotem Seidendamast, die andere wühlte in einem Haufen Gold, der vor ihr aufgeschüttet lag.
    Sie stieß einen Schreckensruf aus, als sie mich erblickte, und streckte beide Hände über den funkelnden Haufen; gleich darauf aber erhob sie sie bittend gegen mich und rief: »Oh, lassen Sie mir das! Es ist meine einzigste Freude; ich habe ja sonst gar keine Freuden mehr!« Eine scharfe zitternde Stimme war es und doch der Ton eines Kinderflehens, was aus der alten Brust hervorbrach.
    Dann griff sie nach meiner Hand, riß mich an die Tür und zeigte in das dunkle gähnende Treppenhaus hinab. »Es ist alles leer!« sagte sie; »alles! Oder glauben Sie, mein Lieber, daß die Tochter aus Elysium hier diese Stufen noch hinaufmarschiert? – Nur das Gold – nehmen Sie mir es nicht – ich bin sonst ganz allein in all den langen Nächten!«
    Ich beruhigte sie. Ich hatte kein Recht, zu nehmen, was sie mir nicht gab; und übrigens – das Spielwerk war zwar kostbar, aber weshalb sollte die reiche Frau es sich denn nicht erlauben! – Rasch nur noch meinen Bleistift, und dann fort aus dieser erdrückenden Umgebung, in die ich den ganzen Tag hineingebannt gewesen war.
    Als ich im Vorbeigehen einen Blick auf die blinkenden Goldhaufen warf, bemerkte ich, daß auch Schaustücke und fremde, namentlich mexikanische und portugiesische Goldmünzen darunter waren. Das erinnerte mich an die Spielgesellin meines Großvaters; der reizende Mädchenkopf, der schon mein Knabenherz erglühen machte, tauchte plötzlich mit all dem erlösenden Zauber der Schönheit vor mir auf, und einen Augenblick dachte ich daran, jetzt meine Erkundigungen nach ihr anzustellen; aber die arme Greisin mir gegenüber befand sich in so fieberhafter Aufregung, daß ich nicht dazu gelangen konnte. Ich verschob es auf gelegenere Zeit und eilte, daß ich in die frische Winternacht hinauskam.
     
    Es war inzwischen Frühling geworden; die Buchenwälder um die schönen Ufer unserer Meeresbucht lagen im lichtesten Maiengrün. Zwischen uns und der Familie des Polizeimeisters hatten sich gewisse Beziehungen ergeben; besonders hatte sich dessen älteste Tochter meiner Frau in jugendlicher Freundschaft angeschlossen. Das frische Mädchen mit den weitblickenden Augen gefiel uns beiden wohl; mir niemals besser als an einem Sonntagmorgen, da wir mit einer größeren Gesellschaft auf einem Dampfschiffe über die blaue Förde hinfuhren.
    An der Schanzkleidung standen junge Damen mit ebenso jungen Offizieren in einer jener

Weitere Kostenlose Bücher