Werke
Kodizill machen, um für die Aussteuer der armen Mädchen ein paar tausend Taler auszusetzen.
Aber da kam ich übel an.
»Tausend Taler!« Sie schrie es fast, und der greise Kopf zitterte auf und ab. »Keinen Schilling sollen sie haben; keinen Schilling!«
Sie legte sich erschöpft zurück, und ich betrachtete mit Grauen dies zerbrechliche Wesen, dessen Glieder nur noch in den Zuckungen des Hasses zu leben schienen. »Keinen Schilling!« wiederholte sie noch einmal.
Der kleine runde Polizeimeister war ein Mann, der als armer Familienvater stark aufs Karrieremachen aus war, der aber sonst ganz hübsch im großen Haufen mitging. »Was haben Sie gegen Ihren Herrn Neffen?« fragte ich. »Hat er Sie irgendwie beleidigt?«
»Mich? – Nein, mein Lieber«, erwiderte sie. »Im Gegenteil; er machte mir sogleich die feierliche Visite, als er nur eben seine segensreiche Wirksamkeit in dieser Stadt begonnen hatte; natürlich« – sie schien mit Behagen auf diesem Worte zu verweilen –, »natürlich, um zu erbschleichen; aber das tut ja nichts zur Sache! Oh, ein ganz scharmanter Mann! Ich hatte vorher nicht das Vergnügen ihn zu kennen; aber das ging so glatt: ›Liebe Tante‹ hinten und ›Liebe Tante‹ vorn.« Sie streckte einen Arm unter der Decke hervor und ließ die Hand wie eine Puppe gegen sich auf und ab knicksen.
»Ich habe ihn aber nicht eingeladen«, fuhr sie fort; »ich mache kein Haus mehr, es ist zu unbequem in meinem hohen Alter.«
Es mochte ihren argwöhnischen Augen nicht entgangen sein, daß bei dieser Äußerung meine Blicke unwillkürlich die traurige Wüstenei des Zimmers überflogen hatten.
»Sie wundern sich wohl«, sagte sie, »wie es hier unten bei mir aussieht! Aber oben in der Beletage habe ich meine Prunkgemächer! Einst, mein Herr Stadtsekretär, waren sie oft genug geöffnet! Karossen mit Rappen und Isabellen hielten vor meiner Tür, und Grafen und Generalkonsuln fremder Staaten haben an meiner Tafel gesessen!«
Dann sprang sie wieder auf jenen Antrittsbesuch ihres Neffen über. »Er hatte mir auch sein ältestes Mädchen hergebracht – eine Dame, sag ich Ihnen, oh, eine ganze Dame! Das müssen reiche Leute sein, der Herr Neffe und seine Demoisellen Töchter; ein Kleid mit echten Spitzen, eine römische Kamee zur Vorstecknadel! Aber sagen tat sie just nicht viel; sie war auch wohl nur da, damit ich in das schmucke Lärvchen mich verliebe! – Ich!« – sie lachte voll Verachtung – »ich brauchte einst nicht aus der Tür zu gehen, um ganz was anderes zu erblicken! Aber das Mündchen wurde so süß, so unschuldsvoll; – es tat einem leid, zu denken, daß dadurch auch die liebe Leibesnotdurft, gebratene Hühnchen und Krammetsvögelchen hineinspazieren mußten. Nicht wahr, Herr Stadtsekretarius, ein schönes Weib ist doch auch nur ein schönes Raubtier?«
Sie nickte vor sich hin, als gedächte sie mit Befriedigung einer Zeit, wo auch sie selber beides dies gewesen sei. Plötzlich aber, den Kopf zu mir wendend, mit einem Aufblitzen der Augen, als käme es aus dem Abgrund, worin ihre Jugend begraben lag, sagte sie mit einem zitternden Pathos: »Sehen Sie mich an; ich bin einst sehr schön gewesen!«
Ich erschrak fast, als ich die kleine dürre Gestalt wie durch einen Ruck sich kerzengrade in den Kissen aufrichten sah; aber schon waren die großen Augen wieder grell und kalt.
»Nicht wahr, Sie sehen das nicht mehr? denn ich bin alt, und« – sie sprach das fast nur flüsternd – »der Tod ist hinter mir her; des Nachts, immer nur des Nachts! Ich muß dann wandern; es ist nur gut, daß mein Haus so groß ist.«
»Sie leiden an Schlaflosigkeit«, sagte ich, »es ist das Leiden vieler alten Leute!«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, mein Lieber; ich halte mich gewaltsam wach; merken Sie wohl – gewaltsam! Ich fürchte den Hans Klapperbein auch nur im Schlaf; er hat schon manchen so erwürgt, aber – ich bin nicht so dumm, er soll mich noch so bald nicht kriegen! Die Herren von der Stadt hätten freilich nichts dagegen; – aber sie sollen sich in acht nehmen! Am liebsten, glaub ich, möchten sie mich gar noch unmündig machen.«
Auf einmal schien ihr etwas aufzudämmern. »Sie sind auch bei der Stadt angestellt, mein Lieber?« sagte sie und sah mich mit einem unbeschreiblich lauernden Blicke an.
»Sie wissen das«, antwortete ich; »Sie haben mich ja mehrfach mit meinem Amtstitel angeredet.«
»Ja, allerdings!« Ihr Blick hatte mich noch immer festgehalten. »Hat man Sie«,
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