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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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fragte sie vorsichtig, »vielleicht mit einem Auftrage zu mir geschickt?«
    Ich stutzte einen Augenblick, dann aber beschloß ich, ihr die ganze Wahrheit zu sagen. »Man hatte freilich gefürchtet«, sagte ich, »daß Ihre Altersschwäche die Einleitung einer Kuratel erforderlich machen würde.«
    Sie wurde sehr aufgeregt. »Schwach!« schrie sie, und es war eine dünne gläserne Stimme, die mir in die Seele schnitt. – »Nein, nicht schwach; reich bin ich – reich! Und plündern will man mich! Aber ich werde mein Haus vermauern lassen, und sollte ich darin verhungern!« Sie griff in die Vorhänge und suchte die Füße aus dem Bett zu stecken; sie wollte heraus, sie wollte zeigen, daß sie kräftig und gesund sei.
    Die Wärterin kam herbei, ich redete ihr zu, aber wir suchten vergebens sie zu beruhigen. Dabei hatte ich meinen Stuhl verlassen, auf dem ich bisher mit dem Rücken gegen die Fenster gesessen hatte, und stand jetzt so, daß mein Gesicht in der vollen Tagesbeleuchtung der Alten gegenüber war. Plötzlich wurde sie still, sie schien sogar meinen Worten zuzuhören. Ich konnte ihr jetzt sagen, daß nach meiner Ansicht zu einer Kuratel bei ihr keine Veranlassung sei, daß aber das unnütze Aufspeichern ihrer großen Zinsenernten den Verdacht einer Unfähigkeit zur eignen Vermögensverwaltung erregen könne, und schlug ihr endlich vor, einem Mann, dem sie vertraue, dieselbe zu übertragen.
    Schon während des Sprechens hatte ich gefühlt, daß ihre Augen fest auf mein Gesicht gerichtet waren, fast wie bei unserer ersten Begegnung in den beiderseitigen Gärten. »Vertrauen! Ja, vertrauen!« stieß sie ein paarmal hervor; dabei wand sie die Hände umeinander, als wenn sie einen inneren Kampf zu überstehen habe. Plötzlich griff die eine Hand nach meiner und hielt sie fest. »Sie!« sagte sie hastig. »Ja, wenn Sie es wollten!«
    »Ich, Madame Jansen! Sie kennen mich ja nicht!«
    Wieder sah sie mir musternd in die Augen.
    »Nein«, sagte sie dann; »Sie sind ein junger Mann; aber ich weiß es, Sie werden ein armes altes Weib nicht hintergehen.«
    Ob das der Zauber war, den mein heiterer Nachbar bei mir voraussetzte! Aber ich gab meine Einwilligung und machte nur zur Bedingung, daß die Überlieferung unter Zuziehung eines Notars geschehen solle; Tag und Stunde möge sie mir selbst bestimmen.
    Noch immer hielt sie meine Hand, und als ich jetzt gehen wollte, schien sie sie nur zögernd loszulassen.
    Beim Abschiede fragte ich sie, ob ich ihr einen Arzt besorgen dürfe, damit sie rascher wieder zu Kräften komme.
    Sie blickte mich an, als suche sie in meinen Augen die Bestätigung einer Teilnahme, die sie in dem Ton meiner Worte gefühlt haben mochte; dann aber streckte sie mir lachend ihre linke Hand entgegen, in der, wie ich jetzt sah, zwei Finger steif geschlossen lagen. »Ein Meisterstück unseres berühmten Dr. Nicolovius!« sagte sie in ihrer alten bitteren Weise. »Hat er denn noch nicht, wie seine Kollegen, die Quacksalber, einen trompetenden Hanswurst vor seiner Bude stehen? – – Nein, nein, mein Lieber, keinen Arzt! Ich selber kenne meine Natur am besten.«
    So war meine Aufgabe für heute denn beendet.
     
    Wenigstens das rätselhafte Klingeln schien nicht nur geträumt zu sein. Eine große Schleiereule hatte sich – mit einigem Rechtsgrund, wie mir schien – auf den einsamen Böden einquartiert und mochte bei einer vergeblichen Mausjagd die Klingeldrähte gestreift haben, die durch das ganze Haus und auch dorthinauf liefen. Die alte Dame selbst war schon am zweiten Tage wieder aufgestanden, ja, sie hatte sich sogar mit Hülfe der Wärterin aus der Stange ihres Obstpflückers und einem Tonnenbande einen Ketscher angefertigt und solcherweise den keine Miete zahlenden Vogel wie einen Nachtschmetterling ebenso eifrig als vergeblich über alle Böden hin verfolgt.
    Ich erfuhr dies alles, als ich eines Vormittags zu dem verabredeten Geschäfte mit einem befreundeten Notar wieder in das Haus trat. Wir wurden in den dritten Stock hinaufgeführt; hier öffnete die Wärterin eine Tür, an der von einer eisernen Krampe ein schweres Vorlegeschloß herabhing.
    Es war eine mäßig große düstere Kammer; in deren Mitte stand die alte Madame Jansen vor einem Tische und sortierte emsig allerlei Päckchen, wie sich nachher ergab, mit den verschiedensten Wertpapieren; rings herum an den Wänden, so daß nur wenig Platz neben dem Tische blieb, standen eine Menge straff gefüllter Geldbeutel, von denen die meisten aus

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