Werke
betrachten. Plötzlich stand er auf und ging gerade auf das Mädchen zu, während sie, ohne sich zu regen, ihn näher kommen ließ.
»Kätti?« rief er, als er vor ihr stand.
Sie ließ den Kopf auf ihre Brust sinken. »Ja, Kätti«, sagte sie leise.
Als sie dann die Augen langsam zu ihm aufhob, machte die eigentümliche Schönheit des Mädchens ihn fast verstummen. Erst als aus der Musikantenecke ein herrischer Ruf an sie erging, brach es hervor. »Also zu denen da gehörst du?« rief er – und es war fast derselbe Ton, womit er einst das faule Schulkind abgekanzelt hatte –, »eine fahrende Marktsängerin ist aus dir geworden, und ich selber hab wohl gar noch dazu helfen müssen. Ich kann’s mir denken, du hast dich in den jungen Vagabonden da verliebt und bist mit ihm davongelaufen!«
Kätti sah ihn ganz erschrocken an und schüttelte heftig ihr dunkles Köpfchen.
»Nicht? Aber weshalb bist du denn fortgegangen?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie schüchtern; »ich glaube, ich mochte nicht mehr mit Sträkelstrakel spielen.«
Er lachte doch. »Was ist das: Sträkelstrakel?«
»Ein kleiner Schneider, der bei uns Violine spielt.«
»Mamsell!« rief es wieder aus der Musikantenecke. »Kommen Sie an Ihren Platz!«
»Und weshalb«, frug der Doktor, ohne auf diesen Ruf zu achten, »sitzest du hier so abseits? Hast du Streit mit jenen Leuten?«
Kätti schwieg erst einen Augenblick; dann sagte sie: »Er ist frech gegen mich gewesen; ich will nicht spielen.«
Wulf Fedders trat an den Musikantentisch.
»Wie kommt Ihr zu dem Mädchen?« frug er drohend; »sie ist guter Leute Tochter.«
Der Bursche sah ihn an und nahm einen Schluck aus dem Glase, das er vor sich hatte. »Weiß schon«, sagte er, »wo sie zu Hause ist!«
»Sie ist ein halbes Kind«, fuhr der Doktor fort, »Ihr könnt dafür bestraft werden, Ihr durftet sie nicht mit Euch nehmen!«
»Sind Sie dabei gewesen, Herr?« rief der Bursche und stieß mit seiner Geige tönend auf die Tischplatte. »Mitten in der Nacht, da wir mit unserm Fuhrwerk eine Viertelstunde hinterm Dorfe waren, ist sie mit ihrer Gitarre aus dem Busch hervorgesprungen; sie hat sich meinem Bräunchen an den Zügel gehängt, daß ich nicht hab fahren können, und hat gebettelt und geweint, daß wir sie mit uns nehmen möchten.«
Der Geigenspieler hielt einen Augenblick inne; denn der Herr, der zuvor hinausgegangen war, setzte sich draußen vor dem Fenster auf die Bank.
»Nun?« rief Wulf Fedders ungeduldig.
»Nun, Herr? – Es fand sich just ein leerer Platz im Karren, weil unsre vorige Mamsell uns durchgegangen war. Da ließ ich sie drauf hinsitzen, um dem Lamento nur ein End zu machen.«
»Der Tausch mag Euch schon angestanden haben«, sagte der Doktor; »Ihr habt Euch wohl nicht gar zu lang bedacht!«
»Meinen Sie, Herr? – Nun, allzuviel hat sie uns just nicht zugebracht; sie trägt schon meiner Schwester Hemd am Leibe, und die Schuhe werden auch bald zerrissen sein!«
Der junge Doktor warf unwillkürlich einen Blick in die andere Ecke, wo Kätti, den Kopf an ihre Gitarre lehnend, unbeweglich mit geschlossenen Augen saß. Die Schuhe an ihren über Kreuz gelegten Füßchen waren freilich in erbarmungswertem Zustande.
»Aber«, sagte er und wandte sich wieder zu dem Geiger, »Ihr seid unehrerbietig gegen das Kind gewesen; was habt Ihr mit ihm vorgehabt?«
Der Bursche stieß lachend seine Schwester an, eine Dirne mit harten Zügen, welche, ihre Harfe im Arm, die Pause zur Verspeisung eines Butterbrots benutzte. »Da hör, Gundel!« rief er. »Hörst du, was ich gewesen bin?«
Dann wandte er sich wieder zu seinem jungen Gegner und sagte nachdrücklich: »Ich weiß eben nicht, warum ich Euch hier Antwort steh; aber der Herr da draußen ist einer von unseren Freunden; er hatte sein Späßchen mit der neuen Mamsell, wie er’s mit der andern auch gehabt hat; aber der schwarze Fratz tat wild wie eine Katze und hat ihm seine Wange aufgerissen!«
»Und dann?« frug Wulf und faßte krampfhaft seinen Ziegenhainer, den er vorhin fast unwillkürlich in die Hand genommen hatte.
»Dann? – Nun, Herr, Ihr seht’s ja, daß ich sie nicht gefressen habe!« Der Mensch zeigte seine weißen Zähne und stieß sein Trinkglas auf den Tisch, daß die Scherben dem Doktor ums Gesicht flogen.
Wulf Fedders verlor für einen Augenblick seine sonstige Besonnenheit; ein zorniges Wort, ein Schlag mit dem geschwungenen Ziegenhainer war die augenblickliche Erwiderung. Aber der Schlag ging fehl; Kätti,
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