Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
entgegenzustürzen pflegten. Aber es ist dergleichen nichts geschehen; nur ein schwarzhaariges Dirnlein hat mit den Armen über das Brückengeländer gehangen und von einem Stücklein Brotes für die Fische drunten abgebröckelt.
    »Wer bist du?« frug der Knabe, als sie jetzt den Kopf zu ihm herumwandte. »Wohnst du hier?«
    »Das Haus steht leer«, sagte das Mädchen; »ich und meine Großmutter wohnen allein darin; wir halten auch die Uhr in Ordnung. Hörst du? Da schlägt es eben vier.«
    Als die Uhr vom Hause ausgeschlagen hatte, frug der Knabe wieder: »Wer ist denn deine Großmutter?«
    – »Mein Großvater war der Förster hier im Walde.«
    »So?« sagte der Knabe. »Ich kenne euch nicht; aber ihr dürft hier schon noch wohnen bleiben, denn ich brauche das Haus noch lange nicht!«
    Die Kleine hatte sich gerade vor ihm hingestellt. »Du!« rief sie. »Da werden wir dich wenig fragen; das Haus gehört Herrn Hennicke, der drüben hinter dem Walde wohnt.«
    Aber der Bube ließ sich das nicht anfechten. »Herr Hennicke ist mein Vater«, sagte er; »aber das Haus ist mein, denn es ist meiner Mutter Haus gewesen.«
    Als er so redete, ist von dem Hause her eine ältliche Frau zu ihnen getreten, deren Antlitz von verwundenem Leide zeugte und auch davon, daß sie fremdem Willen sich zu beugen hatte lernen müssen. Eine Weile ließ sie ihre Augen auf dem Knaben ruhen; dann sprach sie »Siehst du es denn nicht, Heilwig? Das ist der Junker Detlev! Ich kenne ihn nach seiner Mutter Angesicht; und alle Armen und Bedrückten werden ihn auch daran erkennen.«
    Sie hatte dem Knaben ihre Hand gereicht, Heilwig aber sah ihn groß aus ihren blauen Augen an. »O Junker Detlev«, rief sie, »du siehst ganz anders aus als deine Brüder!«
    »Ich kenne meine Brüder nicht«, sagte der Junker; »ich kenne euch hier alle nicht! Wenn meine gute Base nur noch lebte, so wäre ich erst gekommen, wenn ich mündig war; der Herzog hat mir auch versprochen, daß ich auf seiner neuen Universität studieren soll!«
    »Aber«, sagte die Förstersfrau, »hat denn Herr Hennicke Euch kein Roß zum Reiten in die Stadt geschickt?«
    »Ich gehe lieber«, entgegnete er kurz, »als daß ich auf Frau Benediktes Pferden reite!«
    – »Und wißt Ihr denn auch, daß Ihr an der jetzigen Wohnung Eures Vaters vorbeigewandert seid?«
    Der Knabe nickte. »Das weiß ich wohl; ich will erst meiner Mutter Bildnis sehen, bevor ich nach dem fremden Hause komme!«
    »Mit Gott, Junker Detlev!« sprach die Alte, indem sie einen Schlüssel von ihrem Gürtel löste; »Heilwig mag Euch die Sommerstube aufschließen, indessen ich Euch einen Imbiß unter Eurer Mutter Dach besorge!«
    Das war der Junker wohl zufrieden; und während dann die Alte in der düsteren Küche zu hantieren anfing, stiegen die Kinder miteinander in das Oberhaus hinauf.
    – – Als spät mit Dunkelwerden der Junker Detlev auf Frau Benediktes Hof kam, haben die beiden Füchse schon am Tor auf ihn gelauert und ihn mit Lärmen in das Haus gezogen; er sollte ihnen gegen den dummen Informator beistehen und ihnen den Kuckuck aus dem Neste schmeißen helfen! Frau Benedikte, da er bei seiner Abendschüssel gesessen, hat das feine Tuch seines Wamses mit ihren mageren Fingern ausgeprüft und ihm gesagt, das passe hier nicht auf dem Lande; auch werde sie schon morgen ihm die blonden Locken stutzen. Herr Hennicke aber ist auswärts bei einem Nachbar zum Gelag gewesen.
     
    Gleichwie indes der Junker Detlev sich Frau Benediktes Schere zu erwehren verstand, so wurden auch die Hoffnungen der beiden Füchse nicht erfüllt. Sie wußten freilich nicht, daß Detlev mit dem »Kuckuck« vor seiner Mutter Bild gestanden hatte, und konnten deshalb nicht begreifen, warum er nicht ihre Kameradschaft der des dummen Mädchens vorzog, ja gleich dieser und zu des verhaßten Informators Freude emsig bei den Büchern saß.
    Herr Hennicke selber ist seinem ältesten Sohne meistens aus dem Weg gegangen und hat weder in Schimpf noch Ernst zu ihm geredet. Nur wenn der Junker sich bisweilen seines mütterlichen Erbes annahm, sei es, daß er für einen armen Hörigen Fürspruch tat oder daß er den sichtlichen Verfall des alten Hauses aufzuhalten wünschte, dann hat Herr Hennicke ihn drohend angeschaut und ihn mit hartem Wort zurückgewiesen; doch noch niemals, was die beiden Füchse sich mit Neid erzählten, hatte er eine Hand zum Schlage gegen ihn erhoben.
    Auf dem Eekenhofe ist der Junker oft gesehen worden. An Winterabenden saßen er

Weitere Kostenlose Bücher