Werke
Monden unberührt; die Kunst, welche auch in ihren düstersten Abgründen nach dem Lichte ringt, durfte nichts von dem erfahren, was in ihm wie unter schwerem Stein begraben lag.
– – An einem Fußsteig, welcher in der Richtung vom Schlosse her durch den Wald führte, lag oder stand vielmehr zwischen zwei Erdaufwürfen eingeklemmt ein roher, aber mächtiger Granitblock; wie angenommen wurde, ein Grenzstein aus einem nicht allzu fernen Jahrhundert; denn nach der Seite des Steiges hin waren auf der bemoosten Oberfläche einige von den kürzeren Runenzeilen sichtbar, welche in heutiger Sprache heißen sollten : »Bis hieher ; niemals weiter.«
An diesem Orte, gegen die Rückseite des Steines gelehnt, saß eines Vormittags der junge Förster. Er hatte die von Anna ihm mitgegebenen Brotschnitte aus seiner Jagdtasche genommen; aber er aß nur einen kleinen Teil davon, das übrige brach er in kleine Brocken und streute es um sich her; die Vögel würden es schon finden.
Vor ihm breitete sich eine junge Birkenschonung aus; auf einer abgestorbenen Eiche, die ihm gegenüber hoch daraus hervorragte, saß ein alter Kolkrabe, der hüpfend und flügelspreizend an dem Halbteil eines jungen Hasen zehrte. Ohne Anteil, wie ohne Anreiz, sah Rudolf diesem Treiben zu; der Räuber hatte nichts von ihm zu fürchten. Plötzlich wandte er den Kopf; der Laut von Stimmen, die wie im Gespräche miteinander wechselten, war an sein Ohr gedrungen; und jetzt, in der Richtung vom Schlosse her, näherten sich auch Schritte auf dem Fußsteige, welcher durch den älteren Bestand des Waldes hier vorbeiführte. Rudolf hatte bereits die Stimme des Grafen erkannt; die andre mochte dessen Schwiegervater, dem alten General, gehören, der vor einigen Tagen zum Besuch gekommen war. Er wollte aufstehen und sich unbemerkt entfernen; aber ein Wort, das er deutlich genug vernahm, bannte ihn noch an seine Stelle. »Dein junger Förster«, sagte die ältere Stimme, »soll ja ein liebenswürdiger Mann sein; auch von passabler Familie, wie es heißt.«
Eine Antwort des Grafen vernahm Rudolf nicht; sie mochte nur in einer bezeichnenden Gebärde bestanden haben; denn nach einer Pause hörte er den andern wieder sagen: »Du scheinst nicht beizustimmen; nun, ich hörte auch nur so.«
»O doch«, kam jetzt des Grafen Stimme; »er schien sich anfangs auch gut anzulassen; aber seit ein paar Monaten weißt du, ich sehe jetzt, Papa: ein guter Mann, aber ein schlechter Musikant!«
Der alte Herr lachte behaglich: »Und ich dachte, daß gerade die Musik zu seinen Liebenswürdigkeiten zählte!«
»Ja, ja, das ist nun schon, Papa; er spielt Chopin und hat Jean Paul gelesen, aber das alles hilft nur nicht.«
Das übrige ging dem Lauschenden verloren, die Herren waren eben hinter den Erdhügel getreten, in dessen Mitte sich der Stein befand. Rudolf schloß die Augen ; er mußte ja gleich ein Weiteres vernehmen, sobald die beiden auf dem Steige fortgingen; aber es blieb noch immer still, nur das Klopfen seines Herzens wurde immer lauter, fast, dachte er, könne es ihn verraten. Dann wieder war ihm doch, als ob er sprechen höre; weshalb setzten denn die Herren ihren Weg nicht fort? Studierten sie die Runen auf dem Felsblock, oder waren sie nur in näherer Erörterung ihres Gesprächsstoffes stehengeblieben? Alle peinlichen Augenblicke seines kurzen Amtslebens tauchten in schroffen Umrissen vor ihm auf, und ihm war auf einmal, als höre er das alles von der überlegenen Stimme des Grafen punktweise auseinandersetzen.
Er schüttelte sich, er wußte ja, daß das nur Täuschung sei. Aber jetzt kamen die Schritte wirklich auf der andern Seite des Hügels hervor; der alte Herr schien zuletzt gesprochen zu haben, denn der Graf antwortete, und laut genug, daß der junge Förster jedes Wort verstehen konnte: »Sie haben recht, Papa, aber – passons là-dessus! Der Vater hatte auch so seine Talente, konnte Klavier spielen und Walzer komponieren, er war mein Schulkamerad, und Sie wissen, man sollte es nicht, aber – enfin, man trägt doch immer wieder der Vergangenheit Rechnung.«
Es trat eine Stille ein, und die Schritte der Herren entfernten sich, bis sie allmählich unhörbar wurden.
Der unglückliche Lauscher nickte düster vor sich hin: »Bis hieher, niemals weiter!« Der ihm bekannte Inhalt der Runenzeilen kam ihm immer wieder. Sollte der alte Stein auch noch den jetzt Lebenden die Grenze weisen? – Da fiel sein Auge auf die abgestorbene Eiche, wo noch immer, hüpfend und
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