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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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stolz zu ihrem Mann emporblickend; »und dies Vertrauen, das du dir so bald erworben hast!«
    Rudolf drückte den blonden Kopf seines Weibes gegen seine Brust, nur damit die glücklichen Augen nicht in seinem Antlitz forschten ; denn – wie sollte er nun das Weitere sagen? Schon seine bisherigen Pflichten lagen seit dieser Morgenstunde wie eine Angst ihm auf dem Herzen; bei dem Vorschlage des Grafen hatte es wie ein unübersteiglicher Berg sich vor ihm aufgetürmt; und statt eines freudigen Dankes hatte er nur zu einem Versuch bescheidenen Abwehrens sich ermannen können. Aber dieser Versuch war vergeblich gewesen; der Graf hatte nur gelächelt: »Mein junger Freund, nicht nur l’appétit vient en mangeant; es geht auch in andern Dingen so; ich selber habe nicht gewußt, was ich zu leisten vermochte, bis ich gezwungen wurde, es zu wissen.« Auf seine verwirrte Erwiderung: »Exzellenz ehren mich zu sehr mit einem solchen Vergleiche«, war ihm dann nur geantwortet: »Nun, nun, Herr Förster, ein jeder in seinem Kreise! Ich werde Sie denn doch vor solche Probe stellen müssen.«
    Während dieser Vorgang sich ihm peinlich in der Erinnerung wiederholte, hatte Anna sich aus seinen Armen losgewunden. »Du!« rief sie, »wie lange willst du mich gefangenhalten!« Dann stand sie aufgerichtet vor ihm: »Aber du bist nicht froh, Rudolf; noch immer nicht! Und ich dachte schon an einen Jubelbrief nach Hause.«
    Eine demütigende Scham überkam ihn, aber zugleich ein Drang, vor diesen klaren Augen zu bestehen. »Schreibe nur deinen Brief«, sagte er aufstehend; »es wird zwar aller meiner Kraft bedürfen; aber – ja, Anna, Dank, daß du gekommen bist.«
    Kurz darauf waren aus der Oberförsterei ein großer Aktenschrank und ganze Karren von Aktenbündeln angelangt und in Rudolfs Zimmer untergebracht; auch eine Kammer für einen Schreibgehülfen hatte Anna einrichten müssen. Rudolf selber saß jetzt meistens in die Nacht hinein bei seiner Arbeit; selbst am Sonntage, zum Kirchgang, riß er sich erst im letzten Augenblicke los; ja, wenn Anna während des Gottesdienstes zu ihm aufblickte, glaubte sie eher arbeitende Gedanken als Andacht auf seinem Gesicht zu lesen. Im Hause über Tag sah sie ihn fast nur bei den Mahlzeiten, die er möglichst rasch beendete, und sosehr er oftmals einer Herzerfrischung zu bedürfen schien, er kam immer seltener, sie bei ihr zu suchen.
    So mußte sich die junge Frau denn wohl gestehen: was ihres Mannes Stirn umwölkte, war etwas andres, als was der wechselnde Tag zusammentreibt und wieder auseinanderweht. Aber aus welchen ihr unbekannten Abgründen war das aufgestiegen? War es noch rückgebliebener Schatten jener Krankheit, die er bei dem Besuch im Elternhause kaum erst überstanden hatte, oder war dies sein eigenstes Wesen, das sich jetzt ihr offenbarte? Zwar, die Last der Arbeit dauerte fort; aber an der ausreichenden Kraft des geliebten Mannes auch nur entfernt zu zweifeln konnte ihr nicht einfallen; tat das doch auch der Graf, der scharfblickende Menschenkenner, nicht.
    Sie konnte sich keine Antwort geben; Rudolf selbst aber, wenn sie offen ihn befragte, schob alles auf die überkommene doppelte, ja dreifache Arbeit und vertröstete sie auf die Zeit, wenn erst die von dem kranken Vorgänger angehäuften Reste abgearbeitet sein würden. Ließ sie ungläubig dennoch nicht mit Bitten nach, dann sah sie Qual und Zärtlichkeit so bitterlich auf seinem Antlitz kämpfen, daß sie jäh verstummen mußte. So schwieg sie denn auch ferner und suchte nur, wo sie es immer konnte, ihm zu bringen, was er nicht mehr von ihr zu holen kam. Das Nachtarbeiten war allmählich zur Regel geworden; aber Frau Anna ließ ihn nicht allein; auch für sie gab es ja, wenn sie wollte, Arbeit genug. »Bei unseren neuen Amtsgeschäften« – so hatte sie der Mutter nach Haus geschrieben – »haben wir hier einen langen Tag; schickt mir nur alle euere Winterwolle, denn alle kleinen Beine werde ich bestricken können.«
    Immer mehr fühlte Rudolf sich in einem dunklen Kreis gefangen. Auf einem Reviergange ließ er sich von dem alten Andrees den als Ehemann aus der Anstalt zurückgekehrten jungen Holzschläger zeigen: es war ein gesund ausschauender robuster Bursche; nur in seinen Augen war noch etwas wie ein stumpfes Überhinsehen. Rudolf beobachtete ihn lange, wie er unter den andern die Axt mit seinen starken Armen schwang dann ging er fort, ohne ein Wort an ihn zu richten. Aber schon am folgenden Tage stand er, er wußte selbst

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