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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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Vetter aber curiositatis halber noch dies Exemplar geborgen. Mir war von dem frechen Wuste solcher Lehren der Kopf schier wüst geworden, und von draußen schlug der Sturm an die Fenster, als wolle er die Scheiben aus dem Blei reißen.
    Da legete ich den Unflat bei Seite, denn mich fassete Begehr nach einem stillen Gruß von meinem Nachbar jenseit der Heide. Aber obwohl er bis hiezu noch um Mitternacht mit seinem Lichtlein in das Dunkel hinausgeleuchtet hatte, es war itzt alles schwarz da draußen. Der Sturm fuhr heran und wieder fort; und es war dann eine Zeitlang Todtenstille; nur in der Ferne hörete ich ihn tosen, als ob er dort zu schaffen habe, bis er zurückkam und mit frischen Kräften wieder gegen Mauer und Fenster tobte. Und diesmal lag ich lang, bevor ich schlafen konnte.
    – – Als ich am Morgen über den Hof ging, sprach ich zu einem Knechte: »Das war schlecht Wetter in der Nacht!« »Ja, Herr, wie immer in den schlimmen Tagen«, entgegnete er und schritt vorüber. Ich schüttelte den Kopf; aber ich besann mich; wir schrieben den 24sten; so war der Wildmeister heute nacht im Herrenhaus gewesen. Auch vernahm ich drinnen, daß heute der Tag sei, wo alle Jahr die alte Matten ihren Kirchgang halte; der Knecht aber, der bei ihrer Blindheit sie stets geleite, habe sich den Fuß vertreten. Also ging ich zu ihr, traf sie auch wohlgeputzet in der Gesindestube, mit neuem Fürtuch und schwarzem Käppchen, und bot ihr meine Dienste an.
    »Er will mit dem alten Weibe nach der Kirche?« frug sie; und als ich es bejahete: »So muß Er Geduld haben, Magister; denn so weite Wege gehe ich nur einmal in dem Jahr.«
    »Ich habe schon Geduld«, sprach ich; »meine alte Mutter ist schwächer noch denn Sie.«
    Da sah sie mich mit ihren todten Augen an und lächelte, daß ihr altes Antlitz mir gar hold erschien; dann aber seufzte sie und sprach schier traurig und wie nur zu sich selber: »Du wirst auch alle überleben, Kind.«
    Und auf diese sonderliche Rede gab sie mir die Hand, und wir gingen den Kirchweg hinab. Der Herr Oberst hatte mir in seinem Wagen Raum geboten, aber ich hatte solches abgelehnet; und so sahen wir sie uns vorbeifahren; die Tante Adelheid und der Oberst nickten, der Junker warf uns ein Küßlein aus dem Wagen zu. Es war gut Wetter worden, und die Sonne schien; und auch wir kamen in die Kirche, wenn auch langsam.
    Nach dem Gottesdienste wartete ich, bis alle hinaus waren. Matten saß noch mit gefalteten Händen im Gestühlte und betete still vor sich hin. »Wollen wir gehen?« sprach ich leise; da hob sie sich, und wir gingen aus der Kirche.
    Als wir draußen zu Osten an der Kapellenwand vorbeiwanderten, strich sie mit der Hand an der Mauer entlang. »Schlaft wohl, ihr Christenseelen alle!« murmelte sie; und dann, so daß ich es nur kaum vernahm: »Und genade Gott auch dir, Junker Hinrich!«
    Da wir dann weitergingen, frug ich: »War Junker Hinrich einer von den alten Herren?«, denn die Geschichte des Geschlechtes war mir derzeit nicht bekannt.
    »Das war er, Magister«, sprach die alte Frau mit schwerem Tone.
    »Und lieget der auch hier begraben?«
    Sie antwortete mir nicht und sah nicht auf. Da wir aber wiederum eine Strecke weiter waren, sprach sie: »Er war der Beste; aber – bei Gott ist Rath und That.« Dann faltete sie die Hände und ging schweigend neben mir.
    Am Anberg bei Grieshuus waren wir von dem Vetter eingeholet worden, der erst im Dorfkrug mit den Bauern hatte schwatzen müssen.
    »Halt, halt!« rief er mir zu; »so nehmet doch einen müden Christen mit, Ehrwürden!«, denn er nannte mich scherzend wohl schon damals mit dem epitheton ornans meines heutigen Berufes.
    Und da wir dann nach Haus gekommen und die Alte in ihre Kammer gegangen war, frug ich auch ihn: »Saget, wer war denn Junker Hinrich, von dem die alte Matten redet?«
    »Ei, Ehrwürden«, entgegnete der Vetter lustig, »das solltet Ihr wohl wissen; das war ein Hund, der seinen Zwillingsbruder um das Erbe todtschlug und dann von seinem neugeborenen Kind davonlief. Aber, redet nicht davon, denn er war der Großpapa von unserem jungen Prinzen!«
    »Von Rolf? – Aber die Alte spricht anders von dem Manne.«
    »Ja, die! Die ist nur halb bei Trost. Aber wisset, der Geist des Todten wartet auf der Heide, um ihn zu greifen, falls er in diesen Tagen dort vorüberkäme!« Der Vetter lachte: »Wird lange warten müssen, Ehrwürden! Drum aber vergreife sich’s unterweilen auch! Der Fiedelfritz vom Dorf schleppt seit drei Jahren noch

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