Werke
süße Bitte, daß er verstummte und den zarten Leib, als müsse er ihn zermalmen, mit beiden Armen an sich preßte: »Mein Kind!... Du lebst!... Du lebst!« Und seine Augen tranken den Jugendglanz der ihren. »Oh, doch
ein
Glück auf Erden – Gott sei mir gnädig!«
Das arme Weib lag noch auf ihren Knien und hatte wortlos diesem Vorgang zugeschaut; jetzt, streckte eine Hand sich gegen sie: »Bist du noch hier, Weib?«
»Ja, Herr!« Und ihre Stimme bebte in Erwartung.
»So gehe heim! Die Buße, ich zahle sie für dich!« – Und noch einmal, da sie schon hinausgeschritten war, rief er sie an: »Was ist dein Name, Weib?«, und als sie es ihm gesagt hatte, sprach er: »So gehe heim, Trin Harders, und herze deine Kinder! Du sahest, unser Gott hat auch mit seinem armen Knechte wiederum Erbarmen.«
Dann hob er sein Töchterchen auf seine Arme und trug sie in sein Gemach. »Dagmar, mein Kind«, sprach er, indem er sie sanft zu Boden ließ, »es ist so hell hier heute, und scheint doch keine Sonne von dem grauen Himmel!«
– – So war nun Dagmar zwischen dem schweigsamen Vater und ihrer fast siebzigjährigen Base und sah nimmer ihresgleichen. Ihre Welt war die düstere Burg und, wenn Frühling und Sommer kamen, der Garten, der dahinter lag, wo außer ihr dann nichts war als das Summen der Bienen und Hummeln und drüben jenseit des tiefen Sandweges das Rufen der Drosseln aus dem Walde. Der Ritter hatte seit seines Weibes Tod ihn nimmer wieder betreten; denn seitwärts, vorbei an den Wipfeln des Waldes, schimmerte der graue Fleck des Pestackers. Dagmars Augen aber sahen gern dort hinüber, oder sie saß auf einer Bank, neben der die hohe Pappel ragte, und unter dem Summen und dem Gesang der Vögel sah sie wie einst den Bruder nach dem Sommervogel schießen.
Meist saß sie freilich droben bei der Base in dem Gemache mit den Butzenscheiben; sie nähte und stickte; auch lernte sie lateinische Vokabeln oder schrieb mit der Feder nach was ihr die Base vorgeschrieben hatte. Dazwischen kam wohl einmal der Vater, strich sanft über ihr dunkles Haar und ging dann schweigend wieder fort. Als er ihr dabei eines Tages einen Silberreif ums Haupt gelegt hatte, trug sie ihn ferner an jedem Tag.
Später holte die alte Dame auch ihre Schriftrollen aus der Truhe; und eines Abends, eigener Jugendstunden denkend, griff sie nach Hartmanns von Aue »Armem Heinrich« und begann zu lesen, indessen Dagmar mit offenem Munde ihr zu Füßen saß. Wie kristallene Tröpflein fielen die lichten Worte zu ihr nieder: der junge, unheilbar sieche Burgherr im Schwabenland hatte auf seinem Vorwerk bei dem Meier sich verborgen; die Menschen sollten nicht sein Elend schauen, aber mit seinen noch immer schönen Augen streifte er einmal traurig seines Wirtes junge Tochter. Da ließ das Herzeleid um ihren Herrn sie nimmer schlafen; und als an einem Tage ein weiser Meister zu dem Herrn sprach: »Ich will Euch heilen; aber schaffet eine Jungfrau, die um Euch den Tod erkieset und aus der Brust sich das lebendige Herz will schneiden lassen!«, da, während der Herr und ihre Eltern sich entsetzten, rief das Kind: »Die Jungfrau bin ich! Nehmt nur das Messer, daß mein Herr genese!«
Ein schwerer Seufzer rang sich aus Dagmars Brust; sie griff nach ihrer Base Hand, als müsse sie den Strom der Dichtung hemmen. Dann aber brach ein so erhaben Leuchten aus des Kindes Augen, daß die Base die Schriftrolle hinwarf und sie mit Hast in ihre Arme zog: »Kind, Kind! Ich glaub fürwahr, du wärst zu solchem auch imstande!«
– »Ja, Bas’! – War das die Minne?«
»O Kind, Gott behüt dich vor der Minne!« Und die Base packte erschreckt das Schriftwerk an die Seite.
– So war Dagmar fast sechzehn Jahr geworden, und noch immer war sie zarteren Leibes, als sonst die Menschen sind. Da sie eines Tages eine Handvoll weißer Anemonen dem Vater in einen Krug ordnete, sah er ihr zu wie einem Wunder. »Du bist wie deine Mutter«, sprach er dann; »mein Vater, als ich zuerst die Braut ihm zuführte, weigerte mir lächelnd seinen Segen; die sei der Elbinnen eine und würd nicht bei mit bleiben!« Und als er das gesagt hatte, riß er heftig das Kind an seine Brust.
Einer, der sie noch selber sah, soll einst geäußert haben, ihr Körper sei gewesen, als habe ihre anima candida ihn selber sich geschaffen.
Flitterwochen, in denen die Jungfrau sanft zum Weibe reich, hatte es auf Dorning nicht gegeben; die gehörten dem Toten, der mit zerhauenem Schädel in der Grube lag.
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