Werke
die drei Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Der Halbfranzose beguckte, lebhaft mit seinen Fingern spielend, die Bilder vom verlorenen Sohn, die nebst König und Königin an der Wand hingen, sah dann durch Seine Brille aus dem Fenster in den noch tröpfelnden Regen, dabei unterweilen den Kopf nach mir zurückwendend; dann trat er plötzlich zu mir, musterte meine lange Figur von den Fußspitzen bis zu meinem blonden nordischen Haupte und sagte lebhaft: »Sacré nom de Dieu, Walther! Wo hast du diesen Senfkerl eingefangen?«
»Was bin ich?« Ich wollte schon aufbrausen, aber Walther trat dazwischen: »Wir haben ein gelindes Rotwelsch unter uns: Senfkerl, Senfmädchen ist bei uns der Superlativ vom Allerbesten, und Marx oder alias Lavendel – denn er kann nicht ohne Wohlgerüche leben – redet gern in diesem Idiom. Darüber dürfen Sie ihm nicht zürnen, er ist mein guter Freund!«
»Sans doute! Sans doute!« rief der Halbfranzose; »aber siehst du, Walther – kennen Sie den schon?« unterbrach er sich und wandte sich zu mir. »Nun, Sie werden Ihre Freude an ihm haben! Aber ich meine, Sie sind unser vierter Mann; abends für unsere Versammlungen, wenn bei einer Pfeif Tobak Kopf und Hände wieder zur Ruhe kommen sollen! Der Franz, unser Dritter, das ist der Humorist, man sieht es kaum dem Blondkopf an – Sie werden ihn schon kennenlernen! Aber jetzt, sincères amis, gebt euch die Hände, und hier ist die meine! Smollis! Um Entschuldigung, wie ist Ihr Name?«
»Aber, lieber Herr«, sagte ich etwas verlegen, nachdem ich mich genannt hatte, »geht das bei Ihnen in Frankreich so geschwinde? Wir haben uns ja erst in diesem Augenblick gesehen.«
»Ach, Frankreich!« sagte er; »mein Vater ist ein Deutscher, aus dem gesegneten Lande Schwaben!« Und seine nicht großen Augen leuchteten vor Zärtlichkeit.
Es half eben nichts; ihm war nicht zu widerstehen, Walther und Marx waren meine Duzbrüder.
So war der Anfang unserer Bekanntschaft.
Ich hatte bald empfunden, daß hier ein ernster Geist regiere, der jeden nicht gar zu Trägen mit sich reißen mußte; nur die Übung am Klavier beschäftigte uns je drei, ja wohl gar vier Stunden am Vormittage und ebenso am Nachmittag. Abends waren dann unsere »Versammlungen«, die wir wechselsweise auf unseren Stuben abhielten; da wurde geraucht und über das, was uns in den theoretischen Stunden vorgekommen war, ein Quantum hingeredet; auch gesungen wurde bisweilen: unser Hauptstück war ein Terzett a capella, das von Franz, mit dem ich bald zusammengeführt war, auf seinem Zimmer vorgelegt wurde. »Tropfen von Tau«, den milden Anfang hatte es, Melodie und Komponisten habe ich vergessen, ich meine, es war für Frauenstimmen, und wir stiegen dabei eine Oktave tiefer; aber wir sangen es, wie Franz, unser Dirigent, bemerkte, umstandsverhältnismäßig schön; auch Marx war einer von den Sängern.
Eines Mittsommerabends waren wir bei Franz; die Pfeifen brannten, die schlecht geputzte Lampe hatten wir des Qualms wegen tief hinabgeschraubt; Walther war nicht da, er wohnte bei einer alten Tante und war dadurch mitunter abgehalten. Marx und ich rauchten schon unsere zweite Pfeife, da – klatsch! ging es, und Franz hatte seinen Morgenschuh ausgezogen und ihn über sich gegen die niedrige Decke geworfen. »Hol der Teufel den Bäcker und seine schwarzen Teufelsdinger!« rief er.
»Was rasest du?« sagte ich und blickte mich in der dämmerigen Stube um; aber Scharen von jenen häßlichen großen Küchenschaben, wie sie bei Bäckern – der Hauswirt war ein solcher – ihren liebsten Heimsitz haben, huschten mit ihrer spukhaften Hastigkeit blitzschnell über Deck’ und Wände.
»Potz Himmeltausendsakramenter!« rief ich; wir waren alle aufgesprungen; der eine nahm den Stiefelknecht, der andere riß den Handleiter vom Klavier, Franz zog auch den zweiten Schuh vom Fuß, und nun begann eine Jagd: Klitsch, klatsch! Und die Schaben, die ihr Loch nicht finden konnten, waren unsere sichere Beute; auf Tisch und Stühlen lagen ihre zerquetschten Leiber, das Bett war völlig übersäet. Das Jagdfieber ergriff uns immer mehr; wir sprangen vor- und rückwärts, gegeneinander und um uns selber; das Nachtgezücht rannte an uns empor, über unsere Kleider, auf unser Gesicht, und wir schlugen es auf uns selber tot. Aber schon genügte uns der enge Schauplatz nicht mehr; wir rannten zur Stube auf den Flur hinaus, die Mordinstrumente in den Händen; überall waren Schaben; dann die Treppe hinab; Marx trug
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