Werke
seinem toten Sohn gerufen.
Am zweiten Tage hatte der junge Mann seine Kiste ausgepackt, in der Werkstatt nachgesehen, ob an unfertiger Arbeit etwas in die Hand zu nehmen sei, und dann draußen im Stall sich seine Arbeitsstätte aufgeschlagen.
So waren ein paar Tage hingegangen; er hatte, solang die Sonne schien, gearbeitet und nachts an seines Vaters Bett gesessen; er stand jetzt nachmittags, den Schlegel müßig in der Hand, zwischen seiner Arbeit in dem Stalle und blickte durch die offene Tür in den dunkelblauen Herbsthimmel; er war doch etwas müde. Plötzlich, unter dem Zwitschern der durch den Garten ziehenden Meisen, hörte er einen leichten Schritt von unten den Steig am Zaun heraufkommen. Er blieb horchend stehen; die Schritte wurden zögernder, je mehr sie sich dem Hause näherten. Er hatte schon neugierig auf den Hof hinaustreten wollen, da stand ein etwa dreizehnjähriges Mädchen mit sanften blauen Augen vor der offenen Tür; sie trug einen eckigen Gegenstand in der Hand, der mit einem blauen Seidentuch verhangen war; aber sie sah ihn schüchtern, fast erschrocken an.
»Tritt näher, little Mistress«, sagte er lächelnd.
»Sind Sie Herr Fritz Basch?« frug sie leise, indem sie zögernd einen Fuß auf die Schwelle setzte.
Er nickte: »Bin’s nun seit zwanzig Jahren schon gewesen!«
Sie blickte ihn wieder zweifelnd an.
»Aber wer bist denn du, little fair?« frug er wieder; »hast du mir was zu bestellen?«
»Kennen Sie mich nicht mehr?« sagte sie. »Ich bin des verstorbenen Kollaborators Tochter.«
»Magdalena! Die kleine Magdalena!«
Das Mädchen nickte. »Ja«, sagte sie, »ich war recht klein damals, als die großen Jungen mich schneeballten und mich ›Kolibri‹ schimpften; aber Sie kamen mir zu Hülfe, das gab den Jungen Beine.«
»Ich weiß noch mehr, Lenchen«, sprach er sinnend, »ich hob dich auch einmal aus einem Schneehaufen, in den sie dich geworfen hatten, daß nur kaum noch dein klein Gesicht herausguckte.«
Das Mädchen senkte die Augen, aber sie nickte wieder heftig mit ihrem blonden Köpfchen.
Fritz hatte die Hände auf dem Rücken gefaltet; ein warmer Strahl aus seinen jungen braunen Augen fiel auf das Kind. Da zog sie das Seidentuch von dem Bauer, das darunter verborgen war, und ein rotbrustiger Dompfaff flatterte darin und stieß einige seiner wilden Töne aus. »O Herr Fritz«, rief das Mädchen, »seien Sie auch heute noch so gut und hören Sie mich an, denn das ist der Vogel Ihres Vaters!«
»Unser? Unser Dompfaff?« rief er, und die Augen wurden ihm feucht. »Papchen, mein Papchen, du lebst noch?« Aber plötzlich schienen andere Gedanken in ihm wach zu werden. Um diesen Vogel hatte sein Vater in den Tod. . . Er biß sich auf die Lippen. »Wie kommst du zu dem Vogel?« rief er heftig.
Da fiel das furchtsame Kind vor ihm auf die Knie. »Ich wollte ihn wiederbringen; ich dacht, das könnte den guten Meister gesund machen helfen!«
»Wiederbringen? So hast du ihn vorher genommen? Weißt du, daß mein Vater darum in den Tod hat laufen wollen?«
Sie sah ihn mit verwirrten Augen an; sie nickte erst, dann schüttelte sie heftig ihren Kopf. »Es ist erst heut herausgekommen«, stammelte sie endlich; »da bat ich Großmutter, ob ich ihn hinbringen dürfe, er hat ihn auf dem Scheuerboden versteckt gehabt!«
Der Schrecken, den er über das Mädchen gebracht hatte, schien dem jungen Manne plötzlich weh zu tun; es war ein zu unschuldig Gesichtlein, das zu ihm aufschaute. »Komm!« sagte er und hob sie sanft vom Boden; »du mußt dich nicht so fürchten; ich mein es nicht so schlimm. Nun sag mir, wer hat den Vogel denn genommen? Oder hat ihn jemand nur im Freien eingefangen?«
Sie schüttelte wieder ihr blondes Köpfchen. »Nein«, sagte sie traurig, »mein Bruder Tiberius hat den Vogel vom offenen Fenster weggeholt.«
»So?« sagte er; »er schielt; ich kenn ihn noch wohl.«
»Oh, tut ihm nichts, Herr Fritz!« rief sie und hob flehend ihre Hände zu ihm auf; »er hat schon seine Strafe; Großmutter hat es seinen Lehrern angezeigt! Und sagt auch nichts zu Mamsell Riekchen, sagt es keinem Menschen!«
Er stand und sah wie bewundernd auf sie nieder; aus dem noch halben Kinderangesicht hatte das Antlitz der werdenden Jungfrau ihn plötzlich angeblickt.
»Magdalena«, sagte er verwirrt, »verzeih mir! Ich danke dir; ich will alles tun, wie du es willst; der Vogel wird gewiß den alten Meister Daniel wieder gesund machen; Mamsell Riekchen hat mir gesagt, er habe dich sehr
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