Werke
allmählich immer langsamer, und ich fühlte es plötzlich, ich hielt nur noch eine Schlafende in meinen Armen. Ich legte sie aufs Bett, und endlich schien der Morgen durch die Fenster; und als, noch in der Frühdämmerung, die Wärterin eintrat, ließ ich sie am Bette niedersitzen und ging, wie schon in mancher Frühe, in mein Zimmer hinab, wohin die Magd mein einsames Frühstück gestellt hatte.«
– – Franz hatte sich zurückgelehnt, als sei ein Augenblick der Ruhe eingetreten; ich atmete tief auf; ein »Gott sei gedankt!« entfuhr mir.
Franz sah mich finster an. »Spar das fürerst!« sagte er hart. »Ich bin noch nicht zu Ende.«
»Mein Weib hatte recht: in meinem Schranke war ein dreimal verschlossenes Fach; dreimal, denn der Hauch des Todes war darin geborgen. Ohne eine Absicht, nur als müsse es so sein, öffnete ich die Schlösser und nahm nach langer Musterung von den kleinen sorgfältig verschlossenen Kristallfläschchen, welche darin nebeneinander standen, das kleinste an mich; ebensolange hielt ich es gegen den Tag und betrachtete, ich kann nicht sagen, ob gedankenvoll oder gedankenlos, die wenigen wasserklaren Tropfen, welche kaum darin zu erkennen waren; ein Nichts, ein furchtbares Nichts. Dann steckte ich es zu mir; ich dachte mir noch kaum etwas dabei. Aber – – laß mich nichts von diesem Tage sagen! Was ich nie gekannt hatte, ich fühlte mein Herz unruhig werden, es schlug mir bis in den Hals hinauf; immer wieder fuhr meine Hand von außen an die Tasche, worin das Fläschchen steckte, als wolle sie sich versichern, ob es noch vorhanden sei; dann wieder, so winzig es war, kam mir die Empfindung, als sei es mir unbequem, als ob es mich drücke, und ich steckte es in die andere Tasche; o Hans, ich glaube heut, es war mein bös Gewissen, das mich drückte; aber daran dachte ich damals nicht. Ich hatte persönlich jeder Praxis für die nächste Zeit entsagt und alles meinem Assistenten aufgeladen, der, so gut es gehen wollte, damit fertig wurde. Daher frug niemand nach mir; ich hatte nach außen hin nichts zu tun. Aber was ich an andern sonst getadelt, ja gehaßt hatte, heute kam es über mich selbst: ohne eigenen Willen und ohne das Maß der Einsicht der Zukunft anzulegen, ließ ich mich den Dingen, die da kommen würden, entgegentreiben; mit Gewalt nur unterdrückte ich meine kaum zu dämpfende Erkenntnis. Du glaubst mir, daß ich dabei keine Ruhe fand; bald war ich im Garten, bald am Bette meiner Frau, dann wieder unten in meinem Zimmer. Endlich – endlich neigte sich der lange Tag, die Schatten fielen.
Ich ging in unser Schlafgemach, wo Elsi noch ihr Lager hatte und es auch behielt; die Wärterin stand an ihrem Bette und ordnete ihr blondes Haar, das bei der Unruhe der Kranken sich verwirrt hatte; aber bei meinem Eintritt warf Elsi ihr Haupt herum und wandte ihr schönes Leidensantlitz zu mir. »Es ist gut, Frau Jans! Lassen Sie nur!« sagte sie hastig, und dann zu mir: »Bleib bei mir, Franz! Du – aber ganz allein!« und sah mich mit ihren wie in schmerzlichem Abschied glänzenden Augen an.
Die Wartefrau hatte ein krankes Kind zu Haus; ich sandte sie fort bis auf die gewohnte Morgenstunde. – Als wir allein waren, setzte ich mich, wie ich pflegte, auf den Rand des Bettes und nahm ihr Haupt an meine Brust. Sie drückte sich sanft an mich heran: »O Franz, wie ist es gut, bei dir zu sein!« Wir sprachen nicht; es war noch eine lange, glückliche Stunde; auch mein Herz begann wieder ruhig zu schlagen.
Da schrie sie plötzlich auf: wie von Dämonen, die aber kein sterblich Auge sah, fühlte sie ihren Leib in meinen Armen geschüttelt; mir war’s, als wollten sie die Seele heraushaben und als könnten sie es nicht. »Franz, o Franz!« Das war noch ein letztes Wort; dann versagte ihr die Stimme, selbst der erlösende Schrei zerbrach vor den zusammengebissenen Zähnen. Da warf sie mit Gewalt ihr Haupt empor ich habe nirgend sonst, nie ein so von Qual verzerrtes Menschenantlitz gesehen; nur aus den Augen, und flüchtig wie ein schießender Stern, traf jetzt ein Blick noch in die meinen ein Blick zum Rande voll von Verzweiflung und heißer verlangender Bitte. Sie mühte sich, ein Wort zu sagen; sie konnte es nicht, und die Anfälle kamen immer wieder. Ich war wie niedergeworfen von all den holden Geistern des Lebens: Liebe, Mitleid und Erbarmen waren dem Hülflosen zu furchtbaren Dämonen geworden; mir war, ich sei ein Nichts und nur bestimmt, das Elend anzuschauen; da – fühlte ich
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