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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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»Es war nichts, Franz«, sagte sie; »nur ein Anflug, und dann war’s wohl meine Hasenangst vor Schmerzen!«
    Sie sagte das wohl und war wieder heiter und geschäftig; aber ein paar Wochen später, da ich vormittags in meinem Zimmer bei der Impfliste saß, trat sie zu mir herein, blaß und mit verzagten Augen. »Ich muß doch wieder in meine Kissen«, sagte sie, »mir ist, als wenn mich Unheil treffen sollte.«
    Ich brachte sie nach unserem Schlafzimmer; ich suchte den Grund der sich bald, wenn auch gelinde, einstellenden Schmerzen, aber es wollte mir nicht gleich gelingen. Sie atmete tief auf. »Es wird schon besser!« flüsterte sie, und nach einiger Zeit: »Geh nur hinunter an deine Arbeit; es ist vorbei, du kannst mich ruhig liegen lassen!«
    Und so trieb sie mich fort, aber ich war unfähig, selbst zu der geringfügigen Arbeit, die vor mir lag; eine Furcht vor einem Schrecknis, das sich mir vor Augen stellte, hatte mich ergriffen; ich wanderte rastlos auf und ab. Da wurde an meine Tür gepocht, und ich rief laut »Herein!«, aber es war nur der Postbote, der Briefe und neue Bücher brachte, auch medizinische Zeitschriften, die von mir gehalten wurden, waren darunter. Ich warf die letzteren unangesehen in die große Schublade meines Schreibtisches, wohin sie sonst erst gelangten, nachdem ich das Wesentliche mir herausgelesen hatte.
    Es trieb mich wieder hinauf zu meiner Frau. »Sind die Schmerzen wieder da, Elsi?« frug ich, denn an den Kissen sah ich, daß sie unruhig gelegen hatte.
    »Ein wenig«, sagte sie; »aber ich fürchte mich noch nicht!«
    Doch mir konnte diese Antwort nicht genügen. »Sei so gut, mein Elsi!« sagte ich; »laß mich suchen, von wo aus sie dich quälen wollen; wir müssen sie bekämpfen, eh sie stärker werden!« – – O Hans, ich glaub, ich betete zu Gott, als ich die Hand nach ihrem armen Körper ausstreckte. Sie hatte mir nicht geantwortet; nur leise nickte sie mir zu. Plötzlich es war das erste Mal in meinem Berufe – begann meine Hand zu zittern, und Elsis große erschrockene Augen blitzten in die meinen. ›Carcinoma!‹ sprach es in mir; es durchfuhr mich; wie kam das Entsetzliche zu meinem noch so jungen Weibe? Das Leiden galt derzeit in der Wissenschaft für absolut unheilbar; nach leis heranschleichenden, alles Menschliche überbietenden Qualen war stets der Tod das Ende. Ich kannte diese Krankheit sehr genau, und mit Schaudern gedachte ich des letzten grauenhaften Stadiums derselben.
    Ich zog die Hand zurück; ich küßte mein armes Weib; dann suchte ich über Gleichgültiges mit ihr zu reden, aber sie lehnte schweigend den Ellenbogen auf den Rand des Bettes, den blassen Kopf in ihre Hand legend, und blickte durch das Zimmer wir ins Leere. »Ich kann’s nur noch so schnell nicht fassen«, sagte sie, und die Worte kamen ihr fast tonlos von den Lippen; »solang ich von mir weiß, habe ich gelebt und immer nur gelebt – nur vielleicht im Schlaf nicht – – doch ja, auch im Schlaf. – Du weißt es wohl, Franz, du weißt ja soviel: sag mir, wie ist denn der Tod?« Sie hatte die Augen zu mir erhoben und sah mich unruhig fragend an.
    »Möge er uns noch lange fernbleiben!« entgegnete ich, aber mir war die Kehle wie zugeschnürt.
    »Du antwortest mir nicht, Franz!« sprach sie wieder.
    – »Warum soll ich dir darauf antworten? Was soll der Tod zwischen uns?«
    Sie blickte mich durchdringend an, als wollte sie das Innerste meiner Seele lesen. »Der will mich!« sagte sie; »und bekenn es nur, auch du glaubst, daß ich sterben werde. Ich hab es deinen Augen angesehen!«
    Ein Stöhnen wollte sich mir entringen, und in mir sprach es: ›Sterben? Nur sterben? Oh, armes Weib, du ahnst nicht, was es dir kosten wird!‹ Laut aber sprach ich: »Du bist krank, Elsi, und wir müssen um deine Gesundheit kämpfen!«
    Sie wurde totenblaß: »Sag nur ›um dein Leben‹, Franz!«
    »Das kannst du in meinen Augen nicht gelesen haben.« Ich wußte wohl, daß ich sie täuschte; vielleicht hat sie’s gefühlt. Sie sprach nicht mehr; sie ergriff meine Hand und ließ sich in die Kissen sinken.
    – – Meine äußersten Befürchtungen erfüllten sich; die Schmerzen traten stärker auf, und ich sah mein Weib in Todesqual sich winden, als sie noch nicht die Hälfte ihrer Höhe erreicht hatten.
    Fürchte nicht, Hans«, unterbrach sich mein Freund, »daß ich Schritt für Schritt mit dir an diesem Leiden entlanggehen werde; ich will dich auch mit ärztlicher Weisheit nicht quälen: es war eine

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