Werke
jener Abdominalkrankheiten, die so viele Frauen, wenn auch meist erst in späterem Alter, hinraffen, und bald war der Gipfelpunkt erreicht, wo auch die kühnste Hoffnung sinken mußte.
Wie mit versteinertem Hirn saß ich eines Nachts an ihrem Bett – die Nächte bin ich allzeit allein bei ihr gewesen –, ein furchtbarer Schauer war eben wieder einmal vorüber, und wie eine welke Blume lag sie mir im Arm, an meiner Brust, blutlos, ohne alle Schwere des Lebens. Ich wußte, das Beste, was bevorstehen konnte, war ein möglichst balder Tod; ich frug mich: ›Wie ist es möglich, daß sie noch immer lebt?‹ Wie ein Irrsinn flog es mich an: ›Ist etwas in ihr, das sie nicht sterben läßt?‹ Aber in mir, und fast höhnisch, sprach es: ›Du Tor, sie wird schon sterben können!‹ Ein entsetzliches Selbstgespräch, Hans; denn ich liebte sie ja so grenzenlos, so wahnsinnig, daß ich auch jetzt, trotz meines vielgerühmten Scharfsinns, nicht lassen konnte, sie immer wieder über das Menschliche hinauszuheben. ›Nein, nein, es geht zu Ende!‹ sprach ich zu mir selbst; ich lebte in mir durch, was kommen mußte – zuletzt blieb nur die Totenstille und ein großes ödes Haus.
Da hörte ich meinen Namen rufen; ich schrak zusammen, und doch, es war nur ihre Stimme; eine kurze Ruhe, eine Erholung war ihr vergönnt gewesen, und es war nun, als ob ihre Augen sich mühten, liebevoll zu mir aufzublicken. »Franz«, sagte sie – aber ihre Worte kamen in abgerissenen Sätzen, auch ihre liebe Stimme hätte ich an fremdem Orte nicht erkannt –, »Franz«, wiederholte sie, »scheint denn der Mond da draußen?«
»Ja, Elsi, sieh nur, durch das Südostfenster fällt es auch hier hinein!« Ich hob sie ein wenig an mir empor. »Siehst du es nun?«
– »Ich sehe; o wie schön!«
Ich hielt sie noch an mir, es war nicht unbequem für sie. »Franz«, begann sie wieder, »ich dachte nicht, dich wiederzusehen; als die Schmerzen von mir sanken, aber meine Augen noch geschlossen waren, fühlte ich es vor meinem Munde wehen; ich weiß, das war meine Seele, die den Leib verlassen wollte, aber mein Odem, der erwacht war, zog sie wieder zurück – o Franz, hab Erbarmen, ich kann das Furchtbare nicht noch einmal ertragen« – ich sah es, wie ein Schauder durch ihren Körper lief –, »und du weißt es«, sprach sie wieder, und es klang hart, »ich muß doch sterben! Erlöse mich! Du mußt es, Franz! Wenn es wiederkommt, dann... Du darfst mich nicht tausend Tode sterben lassen!« Ihre Hände hatten sich erhoben und streichelten meine Wangen wie die eines flehenden Kindes.
»Elsi!« schrie ich; »deine Worte rasen! Was dir so weh macht, das ist nicht der Tod, das ist das Leben!«
»Das Leben, Franz? Es war so süß mit dir! Jetzt aber – –«
Ich wiegte langsam meinen Kopf; ich bat: »Sprich nicht mehr so, geliebte Elsi!«
Aber sie warf sich herum und rang ihre mageren Händchen. »Er will nicht!« schrie sie; »er will nicht! O Gott, so sei du mir endlich gnädig!«
Schon sah ich sie aufs neue den unsichtbaren Folterern verfallen, da fühlte ich, daß sie meinen Kopf zu sich herabzuziehen suchte, und als ich mich zu ihr beugte, sah ich in ihr altes geliebtes Antlitz. »Du«, sagte sie, und es war noch einmal der liebe Ton aus vergangenen Tagen, »glaubst du, daß die Toten von den Lebenden getrennt sind? O nein, das ist nicht. Solange du mich liebst, kann ich nicht von dir; du weißt, ich kann’s ja gar nicht; nicht wahr, du weißt es? Ich bleibe bei dir, du hast mich noch, und wenn deine leiblichen Augen mich auch nicht sehen, was tut’s, du trägst mein Bild ja in dir; du brauchst dich nicht zu fürchten! Küß mich, küß mich jetzt noch einmal, mein geliebter Mann; noch einmal deinen Mund auf meinen! – – So, nun nicht mehr! Nun, wenn es da ist, tu, worum ich dich gebeten habe! In dem kleinen Fache deines Schrankes – du hast ja Zaubertränke, daß der Leib ohn Zucken einschläft!«
So ging es fort; lange, bestrickend, verwirrend. O Hans, ich kann dir all die Worte nicht wiederholen; sie enthielten alle nur eine Bitte: die um den Tod von ihres Mannes Hand, der leider ein Arzt war.«
Ich hatte in namenloser Spannung zugehört. »Und du, Franz?« rief ich.
»Ich, mein Freund?« entgegnete Franz. »Ich vermochte ihr nicht zu antworten; es war auch kaum, als ob sie das erwarte; ich umschloß sie nur immer fester mit meinen Armen; wenn ich es heut bedenke, mir ist, ich hätte sie erdrücken müssen. Aber ihre Worte kamen
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