Werke
Vaters. Wer aber an dem Garten vorübergeht ohne einzukehren, der darf niemals dahin zurück; nur der Rosenjungfrau ist es nach dreimal drei Jahren gestattet, in die Welt hinauszugehen, um den Rosenherrn zu suchen und sich durch die Rose aus der Gefangenschaft zu erlösen. Findet sie in dieser Zeit ihn nicht, so muß sie in den Garten zurück und darf erst nach wiederum dreimal drei Jahren noch einmal den Versuch erneuern; aber wenige wagen den ersten, fast keine den zweiten Gang; denn die Rosenjungfrauen scheuen die Welt, und wenn sie ja in ihren weißen Gewändern hinausgehen, so gehen sie mit niedergeschlagenen Augen und zitternden Füßen; und unter hundert solcher Kühnen hat kaum eine einzige den wandernden Rosenherrn gefunden. Für diesen aber ist dann die Rose verloren, und während die Jungfrau zu ewiger Gefangenschaft zurückgegangen ist, hat auch er die Gnade seiner Geburt verscherzt und muß wie die gewöhnliche Menschheit kümmerlich altern und vergehen. – Auch du, mein Sohn, gehörst zu den Rosenherren und kommst du in die Welt hinaus, dann vergiß den Rosengarten nicht.«
Herr Hinzelmeier neigte sich zur Frau Abel und küßte ihre seidenen Haare; dann sagte er, freundlich des Knaben andere Hand ergreifend: »Du bist jetzt groß genug! Möchtest du wohl in die Welt hinaus und eine Kunst erlernen?«
»Ja«, sagte Hinzelmeier, »aber es müßte eine große Kunst sein; so eine, die sonst noch niemand hat erlernen können!«
Frau Abel schüttelte sorgenvoll den Kopf; der Vater aber sagte: »Ich will dich zu einem weisen Meister bringen, der viele Meilen von hier in einer großen Stadt wohnt; da magst du dir selbst eine Kunst erwählen.«
Das war Hinzelmeier zufrieden.
Einige Tage darauf packte Frau Abel einen großen Koffer mit unzählig vielen Kleidern, und Hinzelmeier selber legte noch ein Rasierzeug hinein, damit er den Bart, wenn er käme, sogleich wieder abschneiden könne. Dann fuhr eines Tages der Wagen vor die Tür, und als die Mutter ihren Sohn zum Abschied umarmte, sagte sie unter Tränen zu ihm: »Vergiß die Rose nicht!«
Viertes Kapitel
Krahirius
Als Hinzelmeier ein Jahr bei dem weisen Meister gewesen war, schrieb er seinen Eltern, er habe sich nun eine Kunst erwählt, er wolle den Stein der Weisen suchen; nach zwei Jahren werde der Meister ihn lossprechen, dann wolle er auf die Wanderschaft und nicht eher zurückkehren, als bis er den Stein gefunden habe. Dies sei eine Kunst, welche noch von niemandem erlernt worden; denn auch der Meister sei eigentlich nur ein Altgesell, da der Stein noch keineswegs von ihm gefunden sei.
Als die schöne Frau Abel diesen Brief gelesen hatte, faltete sie ihre Finger ineinander und rief: »Ach, er wird nimmer in den Rosengarten kommen! Es wird ihm gehen wie unseres Nachbarn Kasperle, der vor zwanzig Jahren ausgezogen und nimmer wieder nach Hause gekommen ist!«
Herr Hinzelmeier aber küßte seine schöne Frau und sagte: »Er mußte seinen Weg gehen! Ich wollte auch einmal den Stein der Weisen suchen und habe statt dessen die Rose gefunden.«
So blieb denn Hinzelmeier bei dem weisen Meister; und allmählich ging die Zeit herum. – –
Es war schon tief in der Nacht. Hinzelmeier saß vor einer qualmenden Lampe über einen Folianten gebückt. Aber es wollte ihm heute nicht gelingen; er fühlte es in seinen Adern klopfen und gären, es überfiel ihn eine Angst, als könne ihm auf immer das Verständnis für die tiefe Weisheit der Formeln und Sprüche verlorengehen, welche das alte Buch bewahrte.
Mitunter wandte er sein blasses Gesicht ins Zimmer zurück und starrte gedankenlos in den Winkel, wo die grämliche Gestalt seines Meisters vor einem niedrigen Herde zwischen glühenden Kolben und Tiegeln hantierte; mitunter, wenn die Fledermäuse an den Scheiben vorüberstrichen, sah er verlangend in die Mondnacht hinaus, die wie ein Zauber draußen über den Feldern lag. Neben dem Meister kauerte die Kräuterfrau am Boden. Sie hatte den grauen Hauskater auf dem Schoß und stäubte ihm sanft die Funken aus dem Pelz. Manchmal, wenn es so recht behaglich knisterte und das Tier vor angenehmem Grausen mauzte, langte der Meister liebkosend nach ihm zurück und sagte hustend: »Die Katze ist die Genossin des Weisen!«
Plötzlich scholl von außen her, von der First des Daches, das unter dem Fenster lag, ein langgezogener, sehnsüchtiger Laut, wie dessen von allen Tieren nur die Katze und nur im Lenze mächtig ist. Der Kater richtete sich auf und krallte seine
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