Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
Klauen in die Schürze des alten Weibes. Noch einmal rief es draußen. Da sprang das Tier mit einem derben Satz auf den Fußboden und über Hinzelmeiers Schultern durch die Scheiben ins Freie, daß die Glasscherben klingend hinterdrein stoben.
    Ein süßer Primelduft strich mit dem Zug ins Zimmer. Hinzelmeier sprang empor. »Es ist Frühling, Meister!« rief er und warf seinen Stuhl zurück.
    Der Alte senkte seine Nase noch tiefer in den Tiegel. Hinzelmeier ging auf ihn zu und packte ihn an der Schulter. »Hört Ihr’s nicht, Meister?«
    Der Meister griff sich in den graugemischten Bart und stierte den Jungen blöd durch seine grüne Brille an.
    »Das Eis birst!« rief Hinzelmeier, »es läutet in der Luft!«
    Der Meister faßte ihn ums Handgelenk und begann die Pulsschläge zu zählen. »Sechsundneunzig!« sagte er bedenklich. – Aber Hinzelmeier achtete dessen nicht, sondern verlangte seinen Abschied, und noch in selber Stunde. Da hieß der Meister ihn Stab und Ranzen nehmen und trat mit ihm vor die Haustür, von wo sie weit ins Land hineingehen konnten. Die unabsehbare Ebene lag in klarem Mondenlicht zu ihren Füßen. Hier standen sie still; das Antlitz des Meisters war gefurcht von tausend Runzeln, sein Rücken war gebeugt, sein Bart hing tief über seinen braunen Talar hinab; er sah unsäglich alt aus. Auch Hinzelmeiers Gesicht war blaß, aber seine Augen leuchteten. »Deine Zeit ist um«, sprach der Meister zu ihm. »Knie nieder, damit du losgesprochen werdest!« Dann zog er ein weißes Stäbchen aus dem Ärmel und dem Knienden dreimal damit den Nacken berührend, sprach er:
     
    Das Wort ist gegeben
    Unter die Geister;
    Ruf es ins Leben,
    So bist du der Meister.
    Vorhanden ist es in keinem Reich.
    Es ist ein Name, ein Dunst;
    Finden und schaffen zugleich,
    Das ist die Kunst!
     
    Dann hieß er ihn aufstehen. Ein Frösteln durchfuhr den Jüngling, als er in das greise, feierliche Angesicht des Meisters blickte. Er nahm Stab und Ranzen vom Boden und wollte von dannen gehen, aber der Meister rief: »Vergiß den Raben nicht!« Er griff mit der hageren Faust in seinen Bart und riß ein schwarzes Haar heraus. Das blies er durch die Finger; da schwang es sich als Rabe in die Luft.
    Nun schwenkte er den Stab im Kreise um sein Haupt, und wie er schwenkte, flog der Rabe; dann streckte er den Arm aus und der Vogel setzte sich auf seine Faust. Hierauf hob er die grüne Brille von seiner Nase; und während er sie auf des Raben Schnabel klemmte, sprach er:
     
    Wege sollst du weisen,
    Krahirius sollst du heißen!
     
    Da schrie der Rabe: »Krahira! krahira!« und hüpfte mit ausgespreizten Flügeln auf Hinzelmeiers Schulter. Der Meister aber sprach zu diesem:
     
    Wanderspruch und Wanderbuch
    Hast du nun; und nun genug!
     
    Dann wies er mit dem Finger in das Tal hinab, wo der unendliche Weg über die Ebene lief, und während Hinzelmeier, mit dem Reisehute grüßend, in die Frühlingsnacht hinausging, schwang Krahirius sich auf und flog zu seinen Häupten.
Fünftes Kapitel
Der Eingang zum Rosengarten
    Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Hinzelmeier hatte einen Richtweg über ein Feld mit grüner Wintersaat eingeschlagen, das sich unabsehbar vor ihm ausdehnte. Zu Ende desselben führte der Steig durch eine Öffnung des Walles auf einen geräumigen Platz hinaus, und Hinzelmeier stand vor den Gebäuden eines großen Bauernhofes. Es hatte zuvor geregnet; nun dampften die Strohdächer in der herben Frühlingssonne. Er stieß seinen Wanderstab in den Boden und blickte zum First des Wohnhauses hinauf, wo ein Volk von Sperlingen sein Wesen trieb. Plötzlich sah er aus einem der beiden weißen Schornsteine eine glänzende Scheibe in die Luft steigen, sich langsam im Sonnenscheine wenden und darauf wieder in den Schornstein hinabfallen.
    Hinzelmeier zog seine Taschenuhr hervor. »Es ist Mittag!« sagte er, »sie backen Eierkuchen.« – Ein lieblicher Duft verbreitete sich, und wieder stieg ein Eierkuchen in den Sonnenschein hinauf und sank nach einer kurzen Weile in den Schornstein zurück.
    Der Hunger meldete sich; Hinzelmeier trat ins Haus und gelangte über einen breiten Flur in eine hohe, geräumige Küche, wie solche in größeren Gehöften zu sein pflegen. Am Herde, auf dem ein helles Reisigfeuer brannte, stand eine stämmige Bäuerin und tat den Teig in die zischende Pfanne.
    Krahirius, der lautlos hinterdreingeflogen war, setzte sich auf den Herdmantel, während Hinzelmeier fragte, ob er für Geld und gute Worte eine

Weitere Kostenlose Bücher