Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
heute nicht das bunte Mieder, und das Rot auf ihren Wangen war nur der Abglanz von dem Rosenlichte.
    »O du!« rief Hinzelmeier, »nun wird noch alles, alles gut!«
    Sie streckte die Arme nach ihm aus; sie wollte lächeln, aber die Tränen sprangen ihr in die Augen. »Wo ist Er denn so lange in der Welt umhergelaufen?« sagte sie.
    Und als er nun in ihre Augen sah, da erschrak er vor lauter Freude; denn dort stand sein eignes Bild, aber kein Bild, wie es ihn kurz vorher aus dem kupfernen Kessel angeglotzt hatte; nein, ein Gesicht, so jung und frisch und lustig, daß er laut aufjauchzen mußte; er hätte es um alle Welt nicht lassen können. – –
    Da quoll von der Straße her ein Menschenschwarm ins Haus, schreiend und mit den Händen fechtend. »Hier steht der Herr des Vogels!« rief ein untersetztes Männlein; dann drangen alle auf Hinzelmeier ein.
    Dieser faßte die Hand des Mädchens und fragte: »Was ist es mit dem Raben?«
    »Was es ist?« sagte der Dicke, »dem Herrn Bürgermeister hat er die Perücke gestohlen!« – »Ja, ja!« riefen Alle, »und nun sitzt er draußen auf der Dachrinne, das Ungetüm, und hat die Perücke in der Klaue und glotzt ihre Wohlweisheit durch seine grünen Brillengläser an!«
    Hinzelmeier wollte reden, aber sie nahmen ihn in ihre Mitte und schoben ihn gegen die Türe. Mit Schrecken fühlte er die Hand der Rosenjungfrau aus der seinen gleiten. So kam er auf die Straße.
    Droben auf der Dachrinne des Hauses saß noch immer der Rabe und sah mit seinen schwarzen Augen lauernd auf die aus dem Hause Kommenden hinab. Plötzlich öffnete er die Klaue; und während die Bürger mit Stöcken und Regenschirmen nach der Perücke ihres Bürgermeisters in der Luft umherlangten, hörte Hinzelmeier es »Krahira, krahira!« über seinem Haupte schwirren und in demselben Augenblicke saß auch die grüne Brille schon auf seiner Nase.
    Da war auf einmal die Stadt vor seinen Augen verschwunden; aber durch die Brillengläser sah er zu seinen Füßen ein grünes Tal mit Meierhöfen und Dörfern. Sonnenbeschienene Wiesen zogen sich rings umher, auf welchen barfüßige Dirnen mit blanken Milcheimern durch das Gras schritten, während in weiterer Entfernung von den Dörfern junge Kerle die Sense schwangen. Was aber Hinzelmeiers Augen fesselte, war die Gestalt eines Menschen in rot und weißer Bluse, mit einer spitzen Kappe auf dem Kopfe, welcher inmitten einer Wiese mit auf den Knien gestützten Armen in nachdenklicher Stellung auf einem Steine zu sitzen schien.
Achtes Kapitel
Nachbars Kasperle
    Da dachte Hinzelmeier: ›Das ist der Stein der Weisen!‹ und ging geraden Weges auf ihn zu. Der Mensch aber beharrte in seiner nachdenklichen Stellung, nur daß er zu Hinzelmeiers Erstaunen seine große Nase wie Gummi elasticum über das Kinn herabzog.
    »Ei, lieber Herr, was treibt Ihr denn da?« rief Hinzelmeier.
    »Das weiß ich nicht«, sagte der Mann, »aber ich habe da eine verwünschte Glocke an der Mütze, die mich abscheulich im Denken stört.«
    »Warum zupft Ihr Euch denn aber so entsetzlich an der Nase?«
    »Oh«, sagte der Mensch und ließ den Nasenzipfel fahren, daß er mit einem Klaps wieder in seine alte Form zurückschnellte – »da bitte ich um Entschuldigung; aber ich leide oftmals an Gedanken, denn ich suche den Stein der Weisen.«
    »Mein Gott!« sagte Hinzelmeier, »da seid Ihr wohl, gar des Nachbars Kasperle; der gar nicht wieder nach Haus gekommen ist?«
    »Ja«, sagte der Mensch und reichte Hinzelmeiern die Hand, »der bin ich.«
    »Und ich bin Nachbars Hinzelmeier«, sagte dieser, »und suche auch den Stein der Weisen.«
    Hierauf reichten sie sich noch einmal die Hände und kreuzten dabei die Finger auf eine Weise, woran sie sich gegenseitig als Eingeweihte erkannten. Dann sagte Kasperle: »Ich suche den Stein der Weisen jetzt nicht mehr.«
    »Da reist Ihr vielleicht nach dem Rosengarten?« rief Hinzelmeier.
    »Nein«, sagte Kasperle, »ich suche den Stein nicht mehr; aber ich habe ihn bereits gefunden.«
    Da verstummte Hinzelmeier eine ganze Zeitlang; endlich faltete er andächtig die Hände und sagte feierlich: »Es mußte schon so kommen, ich wußte es wohl; denn ich habe vor neun Jahren den Teufel aus der Welt geschossen.«
    »Das muß sein Sohn gewesen sein«, sagte der andere, »dem alten Teufel bin ich noch vorgestern begegnet.«
    »Nein«, sagte Hinzelmeier, »es war der alte Teufel, denn er hatte Hörner vor der Stirn und einen Schwanz mit schwarzer Quaste. Aber erzählt mir

Weitere Kostenlose Bücher