Werke
die Anziehungskraft unseres Weltkörpers nicht mehr erreichen konnte. Hinzelmeier blickte ihm eine Weile nach; als er aber immer weiter und weiter flog und gar nicht damit aufhören wollte, so gingen ihm endlich die Augen über. Sobald daher die Erde sich insoweit beruhigt hatte, daß mit zwei Beinen wieder auf ihr zu stehen war, sprang er auf und blickte um sich her. Zu seinen Füßen gähnte ihn der schwarze ausgebrannte Mörser an; von Zeit zu Zeit quoll eine Wolke braunen Rauchs heraus und zog sich träge an den Felsen hin. Aber schon brach die Sonne durch den Dunst und vergoldete überall die Spitzen des Gesteines. Da nahm Hinzelmeier seine Tabakspfeife aus der Tasche, und die blauen Wolken vor sich hinblasend, rief er triumphierend: »Den Stein des Anstoßes habe ich aus der Welt geschossen; wohlan! der Stein der Weisen kann mir nicht entgehen!«
Dann setzte er seine Wanderung fort, und Krahirius flog zu seinen Häupten.
Siebentes Kapitel
Die Rosenjungfrau
Aber er wanderte hin und her, kreuz und quer, er wurde müder und müder, sein Rücken wurde gekrümmt; aber immer fand er doch den Stein der Weisen nicht. So waren neun Jahre dahingegangen, als er eines Abends in ein Wirtshaus einkehrte, welches am Eingange einer großen Stadt belegen war. Krahirius nahm sich mit der Klaue die Brille herunter und putzte sie an seinen Flügeln; dann setzte er sie wieder auf und hüpfte in die Küche. Als die Hausleute ihn sahen, lachten sie über seine Brille, nannten ihn »Herr Professor« und warfen ihm die fettsten Bissen vor.
»Wenn Ihr der Herr des Vogels seid«, sagte der Wirt zu Hinzelmeier, »so ist nach Euch gefragt worden.«
»Freilich bin ich das« – sagte Hinzelmeier.
»Wie heißt Ihr denn?«
»Ich heiße Hinzelmeier.«
»Ei, ei«, sagte der Wirt, »Ihren Herrn Sohn, den Gemahl der schönen Frau Abel, den kenne ich recht wohl.«
»Das ist mein Vater«, sagte Hinzelmeier verdrießlich, »und die schöne Frau Abel ist meine Mutter.«
Da lachten die Leute und sagten, der Herr sei außerordentlich spaßhaft. Hinzelmeier aber sah vor Zorn in einen blanken Kessel.
Da starrte ihm ein grämliches Angesicht entgegen, voll Runzeln und Hahnepfötchen und er gewahrte nun wohl, daß er abscheulich alt geworden sei.
»Ja, ja!« rief er und schüttelte sich, als gelte es, aus einem schweren Traum zu kommen. »Wo war es doch? Ich war ja dicht davor.« Dann erkundigte er sich bei dem Wirte, wer nach ihm gefragt habe.
»Es war nur eine arme Dirne«, sagte der Wirt, »sie trug ein weißes Kleid und ging mit nackten Füßen.«
»Das war die Rosenjungfrau!« rief Hinzelmeier.
»Ja«, antwortete der Wirt, »ein Sträußermädel mag es wohl sein, sie hatte aber nur noch eine Rose in ihrem Körbchen.«
»Wohin ist sie gegangen?« rief Hinzelmeier.
»Wenn Ihr sie sprechen müßt«, sagte der Wirt, »so werdet Ihr sie schon in der Stadt an einer Straßenecke finden können.«
Als Hinzelmeier das gehört hatte, schritt er eilig zum Hause hinaus und in die Stadt hinein; Krahirius, die Brille auf dem Schnabel, flog krächzend hinterher. Es ging aus einer Straße in die andere und an allen Ecksteinen standen Blumenmädchen; aber sie trugen plumpe Schnallenschuhe und boten schreiend ihre Ware feil. Das waren keine Rosenjungfrauen. – Endlich, als schon die Sonne hinter den Häusern hinab war, gelangte Hinzelmeier an ein altes Haus, aus dessen offener Tür ein zartes Leuchten auf die dämmerige Gasse herausdrang. Krahirius warf den Kopf zurück und schlug ängstlich mit den Flügeln; Hinzelmeier aber achtete dessen nicht und trat über die Schwelle in einen weiten Hausflur, der ganz von rotem Schimmer erfüllt war. Tief im Hintergrunde, auf der untersten Stufe einer Wendeltreppe, sah er ein blasses Mädchen sitzen; in einem Körbchen, das sie auf ihrem Schoße hielt, lag eine rote Rose, aus deren Kelch das zarte Licht hervorbrach. Das Mädchen schien ermüdet; denn sie setzte eben die Lippen von einem irdnen Wasserkruge, der ihr von einem kleinen Knaben mit beiden Händen vorgehalten wurde. Ein großer Hund, der neben ihr an der Treppe lag und wie das Kind, hier zu Hause zu gehören schien, legte den Kopf an ihr weißes Gewand und leckte ihre nackten Füße. – »Das ist sie!« sagte Hinzelmeier, und seine Schritte wurden unsicher vor Hoffen und Erwarten. Und als die Jungfrau nun ihr Antlitz gegen ihn erhob, da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er erkannte mit einemmal das Mädchen aus der Bauernküche; nur trug sie
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