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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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das war ihr Glück, denn zwei Jahre später fielen die Deutschen in der Sowjetunion leider in Ungnade. Deswegen benannte ihre Nachfolgerin den Chor um. In ›tschweni sakartwelo‹. Sie studierten weiter Kunstlieder ein, nahmen auch georgische Volksmusik ins Programm auf. Ab den 50ern reisten sie durch die ganze Sowjetunion, traten in Leningrad, Moskau und Odessa auf, auch in Mittelasien. Hier in Tbilissi hatten sie allerdings das stolzeste Publikum.«
    Mir fehlte jegliche Inspiration, wie ich weiterfragen sollte. Der Chor interessierte mich nicht, ich wollte auf Mira kommen. Die Zeit wurde knapp, das Foyer leerte sich.
    »Wir freuen uns, dass Sie heute Abend kommen konnten«, nickte Thea mir freundlich zu. Beim Lächeln entblößte sie graue Zähne, die angelegentlich in ihrem Mund herumstanden. Rasch schloss sie die Lippen wieder.
    »Ich habe gehört, dass Clara Cleveland den Chor sehr unterstützt.«
    »Sicher.« Thea kramte in einem riesigen Lederbeutel, den sie über der Schulter trug. »Ich gebe Ihnen unseren Prospekt mit.« Sie reichte mir einen Flyer. »Clara Cleveland hat uns in den letzten Jahren sehr unterstützt. Finanziell und ideell, durch ihre Aufenthalte in Georgien. Sie wissen, dass sie hier geboren wurde?«
    Ich nickte. Thea schob mich auf den Festsaal zu. Wir waren die letzten im Foyer. Aus dem Saal hörte ich lautes Stimmengemurmel. »Sie kommt jedes Frühjahr und studiert ein kleines Extraprogramm mit unseren Kindern ein. Ihnen bedeutet das sehr viel. Ein Gast, von so weit her! Wissen Sie«, ihr Mund war nun nah an meinem Ohr, wir betraten den Saal, »Isolde ist eine gute Musikerin und hingebungsvolle Chorleiterin. Aber Clara ist«, sie senkte die Stimme noch etwas mehr und ich spürte ihren warmen Atem an meinem Haar, »herausragend. Wunderbar. Sie ist einfach wunderbar. Nicht nur eine großartige Sängerin. Nein, sie ist vor allem ein großartiger Mensch.«
    Damit schloss sie die Tür zum Saal. Ich wollte fragen, wo die außerordentliche Clara Cleveland abgeblieben war. Doch Thea presste die Lippen zusammen und stöckelte zu ihrem Stuhl in der ersten Reihe.
    Ich entdeckte Juliane irgendwo hinten und quetschte mich, »sorry« murmelnd, durch das Publikum, um zu dem freien Platz neben ihr zu gelangen.
    Während die Kinder ›Komm, lieber Mai, und mache‹ sangen, befasste ich mich mit Theas Faltblatt. Es war in astreinem Deutsch verfasst. Aus einem zwölfköpfigen Vokalensemble war ein stattlicher Chor mit 40 Kindern geworden. In einem Kasten ganz unten wurden die bisherigen Chorleiterinnen namentlich genannt. Alles Frauen. Ob das Absicht war? Ich musste Thea fragen. Clara Clevelands Beitrag bestand offenbar in sehr großzügigen Finanzspritzen, denn ihr war beinahe der ganze Text gewidmet. Dass sie seit September ein Engagement an der Münchner Staatsoper hatte, wurde besonders hervorgehoben. Offenbar war man hier sehr stolz auf die Sängerin aus Balnuri, die es außerhalb Georgiens so weit geschafft hatte.

14
    Unter lauten Jubelrufen und fröhlichem Applaus verließ der Chor in Reih und Glied den Festsaal.
    »Wunderschön«, schwärmte Juliane.
    »Das können wir zu Hause keinem erzählen, dass wir ›Komm, lieber Mai, und mache‹ gehört haben. Live«, witzelte ich, während wir uns in all dem Gewusel ins Foyer drängten.
    »Quatschtüte.« Juliane wollte zu einer umfangreichen Gegenrede ansetzen, als Sopo mich am Ärmel zupfte.
    »Hier kommt Frau Weiß, die Chorleiterin.«
    Eine Frau, stattlich und die erste Geschlechtsgenossin in flachen Schuhen, die ich in Georgien sah, kam auf mich zu. Ihr Haar war kurz geschnitten und kastanienbraun gefärbt.
    »Guten Tag. Thea sagte mir, dass Sie mich sprechen wollen. Hat Ihnen die Aufführung gefallen?«
    »Traumhaft«, schwärmte Juliane los und erlöste mich von der Pflicht, das Konzert in den höchsten Tönen zu loben. Nicht, dass es mir nicht gefallen hätte. Die Kinder waren bestens ausgebildet, stimmlich war da nichts zu beanstanden. Aber ich hatte es nicht so mit deutschem Liedgut, und ich begann darüber nachzudenken, warum eigentlich nicht. Vermutlich, weil ich mich nicht in der deutschtümelnden Ecke wiederfinden wollte. Meiner Generation hatte man diesbezüglich die allersensibelsten Antennen verpasst.
    »Ich habe Thea gebeten, uns einen Kaffee zu bringen.« Isolde Weiß nahm Juliane und mich beim Arm. »Leider habe ich nicht viel Zeit. Sie möchten etwas über unseren Chor wissen? In Georgien sind wir bekannt, jetzt würden wir so gerne

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