Wernievergibt
sie gerne interviewt.«
Thea kam wieder zu uns. »Das hat Mira auch tun wollen, aber dann tauchte sie einfach nicht mehr auf.«
»Ja, eine ziemlich unzuverlässige Person.« Isoldes Redelust schien erstickt. »Entschuldigen Sie, ich muss mich um die Eltern kümmern. Außerdem fahren wir bald nach Balnuri zurück. Die Kinder sind müde.«
»Können Sie mir einen Kontakt zu Clara herstellen?«, bohrte ich. Isolde war schon aufgestanden und diskutierte mit ein paar Frauen. Auf Georgisch. Ich war wieder ganz im fremden Land.
»Clara wird in Kürze in Aserbaidschan erwartet«, sagte Thea. »Sie können sich gerne bei mir melden, die Handynummer finden Sie hier auf dem Faltblatt.« Ein rotlackierter Zeigefinger klopfte auf das Papier. »Wir würden uns wirklich freuen, wenn Sie in Deutschland etwas über uns bringen würden.«
»Mir schwebt eine Schlagzeile vor: Das musikalische Georgien. Oder so ähnlich.« Stolz auf meine spontane Idee suchte ich Julianes Blick.
»In welchem Hotel wohnen Sie?«, fragte Thea.
»Hotel Mari.« Ich gab ihr meine Mobilnummer.
»Hervorragend. Dann finden wir einander.« Thea Wasadse nickte mir zu und tänzelte davon.
15
Als ich mit Kristin im Restaurant saß, nannte sie mich ›Miss Perfect‹. Mag sie auch ein großes Institut leiten: Vom Leben hat sie wirklich keine Ahnung. Als Amerikanerin hängt sie der Auffassung an, dass alles ganz leicht ist. Du musst nur wissen, was du willst, dann führt dich das Leben genau dorthin. Wie ein Taxi.
Ich habe andere Erfahrungen gemacht.
Natürlich spielt die Perfektion eine große Rolle in meinem Leben. Wenn nicht die Hauptrolle. Denn ohne Perfektion bin ich nichts. Das versuche ich auch, an andere weiterzugeben. Ich sage immer, gib so viel, wie du kannst, und dann noch ein bisschen mehr. Sei so gut, wie du es gerade schaffst, und dann noch ein bisschen besser. Kristin hat über diese Philosophie gelacht. Für sie ist Perfektionismus ungesund. Sie meint, es ist entscheidend, sich zu akzeptieren, wie man eben ist. Ich denke dagegen, es ist entscheidend, etwas aus sich zu machen. Kristin findet, der Mensch habe die Aufgabe, sich wertzuschätzen, egal wie gut oder schlecht er seine Pflichten erledigt. Ich denke das Gegenteil: Wir haben alle die Pflicht, besser zu werden, die Messlatte ein Stück höher zu hängen. Kristin zufolge sind die meisten Menschen nicht imstande, etwas zu delegieren. Sie wollen alles alleine meistern, damit sie die Kontrolle über das Ergebnis nicht abgeben müssen.
Der Abend im Restaurant endete irgendwie unbefriedigend. Ich bin danach lange am Fluss spazieren gegangen. Heute kann man das wieder tun. Nicht so wie vor ein paar Jahren, als man sich im Dunkeln besser nicht auf die Straße traute. In Tbilissi hat sich einiges getan, und bestimmt nicht, weil die Menschen hier einfach Ja zu ihren Schwächen gesagt haben, liebe Kristin. Manchmal jedoch möchte ich mit dem Gedanken experimentieren, jemand ganz anderes zu sein. Was wäre, wenn ich zu Großmutter zurückkehren könnte? Falls sie noch lebt. Wenn ich so sein könnte wie damals, als ich noch Vertrauen ins Leben hatte? Aber ich will dieser Sehnsucht nicht nachhängen. Weil es weh tut, die Möglichkeit einzukalkulieren, dass sie am Leben ist, und wir all die Jahre dreingegeben haben. Und weitaus schlimmer ist die Option, dass sie tot ist. Großmutter war neben der Musik der einzige Halt in meinem Leben.
Guga gähnte ausgiebig. Die Nachforschungen über den Unfallwagen hatten nichts ergeben, und es war ihm nach wie vor nicht gelungen, Zeugen aufzutreiben, die den Unfall beobachtet hatten. Falls es ein Unfall war.
Der Drogenspürhund hatte nichts gefunden. Nicht das kleinste Flöckchen Koks.
Seinem Chef gefiel nicht, wie Guga sich in diesem Fall vergrub. Keine Toten, keine Verletzten, keine Schuldigen. So dachte sein Vorgesetzter. Mit Schrecken stellte Guga fest, dass er sich in den Worten der Durchgeknallten wiederentdeckte.
16
»Entweder wissen die nichts, oder sie wollen nichts sagen«, ereiferte sich Juliane, als wir an der Hotelbar saßen und unser Natachtari-Bier tranken.
»Was gibt es zu wissen? Das ist die zentrale Frage.« Kein Zweifel, wir hatten einen interessanten Abend verlebt. Was Miras oder Claras Verbleib anging, waren wir kein bisschen weitergekommen. Ich fragte mich zunehmend, was mich das anging. Lynn hatte im Hotel eine Nachricht hinterlassen und um meinen Rückruf gebeten, aber wir waren zu spät zurückgekommen. Hatten die
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