Wernievergibt
nach Deutschland eingeladen werden. Womöglich war es keine gute Idee, den Chor damals in ›Unser Georgien‹ umzubenennen. Die Deutschen fühlen sich davon nicht angesprochen. Wenn Sie natürlich etwas schreiben würden!« Eifrig, fast unterwürfig sah sie mich an.
Wir setzten uns ans Fenster und schlürften türkischen Kaffee, während Isolde erzählte. Das meiste wusste ich bereits von Thea und aus dem Faltblatt, dennoch hielt ich Stift und Notizbuch bereit. Einerseits, um professionell zu wirken, andererseits aus Gewohnheit. Und dann, weil ich spürte, wie mich die gewohnte Arbeitshaltung erdete. Als hätte ich nach den vergangenen Tagen, in denen mein Selbst umhergewirbelt worden war wie eine Socke in einer Waschmaschine, endlich wieder Boden unter den Füßen. Indem ich etwas schrieb, auch nur ein paar Stichpunkte formulierte, kehrte ich zurück in mein normales Leben.
»Mir ist aufgefallen«, unterbrach ich Isoldes Redeschwall, »dass ausschließlich Frauen den Chor leiteten.«
»Das hat mit Helene Adelsdorfers Vermächtnis zu tun«, erklärte Isolde. »Sie war unverheiratet, müssen Sie wissen. Eine energische Dame, sehr gebildet, sehr höflich und sehr, nun, überzeugt davon, zu wissen, was richtig und falsch ist.«
»Und sehr streng«, mischte sich Thea Wasadse ein. »Ihre Strenge war legendär.«
Isolde machte eine ungeduldige Handbewegung. »Das tut nur gut, wenn man einen Chor leitet.«
Ich sah, wie Thea die Lippen aufeinanderpresste. Offenbar stand es zwischen Leitung und Sekretariat nicht zum Besten. Sopo langweilte sich. Sie schwenkte ihre Kaffeetasse, goss das restliche Wasser auf die Untertasse und blickte gelangweilt aus dem Fenster. Ein kleiner Junge kam zu uns gerannt, mit blassen Wangen und völlig übermüdet. Isolde sagte ein paar harsche Worte. Thea drehte den Kleinen an den Schultern um und schickte ihn mit einem Klaps auf den Hintern wieder weg.
»Ihr Name verrät ja, dass Helene eine Deutsche war. Die direkte Nachfahrin einer Professorenfamilie aus Ulm. Helene Adelsdorfer lebte in Balnuri, gleich neben der Kirche. Sie hatte eine Zugehfrau, eine Georgierin, eine sehr nette, mütterliche Person. Deren Mann war dem Alkohol zugetan. Er schlug seine Frau bei jedem nichtigen Anlass. Jedenfalls klagte die Zugehfrau oft über ihren brutalen Ehemann, der das ganze Geld, das sie bei Leuten wie Helene verdiente, in Wodka umsetzte. Helene versuchte, ihre Putzfrau aus dem Dilemma herauszuholen, bezahlte ihr sogar einen Anwalt, damit sie sich scheiden ließ, doch die gute Seele blieb bei ihrem Gatten und er erschlug sie im Suff mit einem Spaten.«
Juliane grinste, was Isolde sichtlich irritierte.
»Helene Adelsdorfer war daraufhin mehr als je zuvor von der Nichtsnutzigkeit der Männer überzeugt und verfügte in ihrem Testament, dass der Chor ausschließlich von Frauen geleitet werden sollte, die einen ordentlichen und tugendhaften Lebenswandel führten«, fuhr sie fort.
Sopo nahm ihre Tasse auf und starrte hinein, als könne sie dort die neuesten Nachrichten von Twitter rezipieren. Wahrscheinlich versuchte sie nur, ein ungebührliches Lachen zu unterdrücken.
»Testament?«, fragte ich nach. »Hat sie dem Chor ihr Vermögen hinterlassen?«
»Sie war sehr begütert und hatte keine Erben. In der Sowjetzeit war das nicht so einfach. Meine Vorgängerinnen hatten zunächst damit zu tun, den Kulturbonzen klarzumachen, dass sie mit dem Chor wertvolle Arbeit im Sinne der Ideologie leisteten. Sie mussten das Programm umstellen. Georgisches Liedgut, italienische und französische Kunstlieder ins Repertoire aufnehmen. Dann, lange nach dem Krieg, wagten wir vorsichtige Annäherungen an unser erstes und wichtigstes Ziel: unser deutsches Erbe hochzuhalten.«
Ich sah, wie Sopo die Stirn runzelte und ihre Tasse wegstellte.
»Mittlerweile ist das alles kein Problem mehr«, schloss Isolde. »Schon in den 70ern trauten wir uns wieder, auf unsere Wurzeln hinzuweisen. Ich habe einen Georgier geheiratet und seinen Namen angenommen, hieß Isolde Schotadse und war den deutschen Nachnamen los, der damals ein Stigma war. 1993 habe ich ihn wieder angenommen. Ich trage ihn mit Stolz!«
Um unser Eck entstand Unruhe. Eifrige Mütter wollten mit Isolde sprechen und wurden von Thea hingehalten.
»Und Clara? Sie ist wichtig für den Chor, oder?«, fragte ich und wies auf das Faltblatt. Irgendwie musste ich zum Punkt kommen.
Isolde räusperte sich. »Das ist sie. Wirklich.«
»Halten Sie Kontakt mit ihr? Ich hätte
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