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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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übersetzen lassen. Spätestens am 30.4. brauche ich deine Dateien.«
    Wenn Lynn Druck machte, begannen ihre Sätze mit ›hör mal, ich muss‹.
    »Deine Tricks kenne ich.« Ich erwiderte Julianes Seitenblick mit Augenrollen. »Aber …«
    »Du hast noch 19 Tage. Das sollte reichen. Kea, wenn jemand unter Druck schreiben kann, dann du.«
    Das konnte ich allerdings. Oft besser, als wenn mir alle Zeit der Welt blieb.
    »Ist dir klar, wie langsam man sich in diesem Land fortbewegt?«, fragte ich, während Wano gerade an einer Verkaufsbude an der Straße stehen blieb, damit Sopo für uns ein paar Flaschen Mineralwasser erstehen konnte.
    »Leg einen Zahn zu!« Lynns Stimme wurde leiser. »Ich rufe dich morgen wieder an.«
    »Na, je häufiger die Störungen, desto länger dauert’s«, sagte ich. Sie hatte schon aufgelegt.
     
    Tamara empfing uns auf einer Talbrücke mitten in Sighnaghi vor einem Supermarkt. In der Hand hielt sie einen Plastikbeutel mit frischem Kuchen. Ich war erstaunt, eine ältere Dame mit Haarknoten, Kostüm, teigigem Gesicht und dicken Beinen zu sehen. Um ehrlich zu sein, ich hatte eine Frau in meinem Alter erwartet.
    »Wo ich wohne, das ist ziemlich verwinkelt«, sagte sie auf Deutsch und lächelte sofort entschuldigend. »Mein Deutsch ist ziemlich rostig geworden. Ich habe hier wenig Möglichkeiten, es zu benutzen, sodass …« Wano hupte und jagte davon.
    »Er besucht einen Cousin und seine Familie«, erklärte Sopo gleichgültig. Dass ihre Dolmetschdienste nicht lebensnotwendig gebraucht wurden, stimmte sie verdrießlich.
    Tamara wohnte in einem alten Holzhaus, dem die Farbe von der Fassade krümelte. Vom Balkon im ersten Stock aus genossen wir einen atemberaubenden Blick auf die Alasani-Ebene. Sopo hatte nicht übertrieben: Sighnaghi ragte wie ein Ozeandampfer weit ins Leere hinaus. Knappe 50 Kilometer weiter sahen wir die Hänge des Kaukasus im Dunst; seine Gipfel verbargen sich hochmütig hinter Wolken. Der Sonnenschein schwamm durch das Alasani-Tal wie ein Schwarm goldener Fische. Ein kühler Wind wehte uns um die Nase.
    »Waren Sie in Lagodechi?«, fragte Tamara. »Es ist wunderschön um diese Jahreszeit. Ja, und Sighnaghi ist wirklich hervorragend hergerichtet worden. Trinken Sie Tee?«
    In der Ecke ihrer peinlich aufgeräumten guten Stube blubberte ein Samowar. Tamara machte sich an einer Teekanne zu schaffen, sich unaufhörlich dafür entschuldigend, dass sie bislang nicht dazugekommen war, unseren Besuch perfekt vorzubereiten. »Ich hatte Privatschüler. Selbst an Sonntagen kommen sie zu mir. Meine einzige Chance, mich über Wasser zu halten.«
    »Das machen viele hier«, erläuterte Sopo. »Musiker, Philologen – jeder nimmt Privatschüler. Wer keinen Job hat, bekommt überhaupt keine Unterstützung vom Staat, und auch für die Rentner sieht es düster aus. Knappe 100 Lari Rente im Monat, das sind nicht mal 50 Euro, davon kann kein Mensch leben.«
    Ich versuchte Tamaras Alter zu schätzen. Vielleicht war sie 60, allenfalls 65.
    »Ich habe bis vor einem Jahr als Pianistin am Tbilisser Konservatorium gearbeitet. Bei den Aufnahmeprüfungen habe ich die Sänger begleitet. Vor einigen Jahren kam Clara aus Deutschland, um Stipendiaten auszuwählen. Sie sollten die Chance bekommen, ein Jahr lang an der Musikhochschule in Hamburg zu studieren. Dort hatte auch Clara ihre Ausbildung gemacht.«
    »So lernten Sie sich kennen?«, fragte Juliane interessiert und legte endlich den Schal und die Sonnenbrille ab.
    Wir nahmen am gedeckten Tisch Platz. Auf einer Spitzentischdecke, wie sie meiner Oma Laverde gefallen hätte, wartete hauchdünnes Porzellangeschirr auf uns. Als wollten uns Tassen und Teller sagen: Seht her, so etwas wie uns gibt es noch!
    »Genau.« Tamara füllte Teesud aus einer kleinen gusseisernen Kanne in unsere Tassen und goss ihn mit heißem Wasser aus dem Samowar auf. »Clara hatte kein Engagement und hielt sich mit einem Lehrauftrag an der Hamburger Musikhochschule über Wasser. Es gab da einen Mäzen, der von seinem Geld etwas Nützliches tun wollte, nämlich junge georgische Sänger nach Deutschland zur Meisterklasse einladen. Clara wohnte den Prüfungen in Tbilissi bei, und ich spielte.« Sie verteilte Kuchen auf die Teller. »Bitte, essen Sie doch!«
    Mit meiner winzigen Silbergabel rückte ich der Torte zu Leibe. Georgien war nicht das richtige Land, um abzunehmen.
    »Wir sind in Verbindung geblieben. Telefonieren viel. Clara hat keine Mutter mehr, und so scheint es mir

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