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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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gemacht?« Er wollte sie eigentlich fragen, ob sie verheiratet war und Kinder hatte.
    Verwirrt zog sie die Stirn kraus; dabei bildete die Narbe eine Zickzacklinie. Der Hund schnüffelte am Streifenwagen herum.
    »Ich war bei meinem Vater im Krankenhaus in Tbilissi. Er starb drei Tage später. Ich war eine Woche ununterbrochen bei ihm.«
    »Oh, das tut mir leid!« Guga war ehrlich betroffen. Der Besuch bei Marika war hiermit hinfällig. »Wer hat so lange hier die Stellung gehalten?«
    »Ich habe die Patienten zu Guram geschickt. Guram Iaschwili. Gott sei Dank war nicht viel los.«
    Guga nickte und setzte sich ins Auto. »Danke. Schönen Abend.«
    Der Schäferhund bellte. Mit einem verwunderten Lächeln blickte Marika dem Streifenwagen nach.
     
    Guga fuhr weiter nach Norden. Die Straße war völlig verschlammt und so schmal, dass kaum ein Trecker passieren konnte. Hier pflügten die Bauern noch mit Pferden, die meisten wenigstens. Ein verlassenes Fuhrwerk stand an der Böschung. Das Pferd graste friedlich am Rain. Guga umfuhr ein Schlagloch, das so groß war, dass sein Auto hineingepasst hätte.
    Wenn er nur seiner Gedanken besser Herr werden könnte. Sie trieben durch seinen Kopf wie Amöben. Nichts war fassbar, alles schien glitschig und leer, ein ödes Versprechen, er sei etwas Wichtigem auf der Spur, was sich schließlich als haltlos, als Witz erweisen würde.
    »Ich darf mich nicht ablenken lassen«, sagte Guga laut. »Am wenigsten von meinen eigenen Zweifeln.«
    In Amerika hatte er an einer psychologischen Schulung teilgenommen. Da hatten sie ihm beigebracht, wie man an sich glaubte, wie man die Intuition mit dem Verstand befriedete und umgekehrt. Guga hatte die entscheidenden Kniffe vergessen.
    Tierarzt Guram Iaschwili war ein harter Brocken. Das war Guga sofort klar, als er das letzte Stück Straße, das sich steil an den Hang schmiegte, bezwang und sich dem verlotterten Hof näherte, wo Guram lebte.
    Das Holztor war längst aus den Angeln gefault. Üppige Weinranken wucherten über den mannshohen Zaun aus Metallplatten. Wilde Rosen wuchsen zwischen den Weinstöcken.
    Als Guga jedoch den Streifenwagen durch das Tor lenkte, staunte er, wie aufgeräumt Hof und Haus waren. Alt, renovierungsbedürftig, aber ordentlich. Hinter dem Holzhaus ragte eine Scheune in die Höhe. Das Grundstück zog sich weit den Hang hinauf. Apfelbäume ließen dicht an dicht ihre letzten Blüten regnen.
    Guram Iaschwili saß auf einem Mühlstein vor seiner Tür, das Haar weiß wie loderndes Eis, und streichelte ein Huhn. Das Tier rührte sich nicht. Guga überlegte kurz, ob es tot war. Neben den beiden brummte ein Dieselgenerator.
    Er stieg aus und ging auf den Alten zu. Sein Gesicht war rot, gegerbt von der Arbeit im Freien, sommers wie winters. Seine Finger, die gemächlich durch das Federkleid des Huhnes strichen, kamen Guga doppelt so dick wie seine eigenen vor.
    »Guten Abend«, sagte Guga höflich. »Wie geht es Ihnen?«
    »Was willst du?«, knurrte der Alte auf russisch.
    Guga sprach nicht mehr besonders gut russisch. Er hatte keine Übung, trotzdem bemühte er sich.
    »Ich heiße Guga Gelaschwili. Ich untersuche einen Unfall.«
    Der Alte kniff die Augen zusammen und hörte auf, das Huhn zu streicheln. Ein Köter kam aus dem Haus, kroch duckmäuserisch auf den Veterinär zu und beäugte Guga misstrauisch.
    Der Alte erhob sich stöhnend, presste das Huhn an sich und hinkte gebückt auf die Haustür zu. »Komm!«
    Guga folgte ihm widerwillig. Er erwartete eine stinkende Junggesellenbude. Als er das Haus betrat, blieb er überrascht stehen. Alles war geputzt und sauber. An den Wänden hingen Ikonen: die Muttergottes, der Heilige Georg, der Heilige Stefan, und, in vielerlei Ausführungen, die Heilige Nino. Ihr Symbol, das Kreuz mit den nach unten weisenden Querbalken, trug Guga an einer silbernen Kette um den Hals. Unter der Uniform.
    In der Wohnküche setzte Guram das Huhn in eine mit Stroh ausgelegte Kiste und machte sich an einem Ballon mit bernsteinfarbener Flüssigkeit zu schaffen.
    »Leben Sie hier allein?«, fragte Guga.
    »Nennst du das allein?« Der Alte machte eine stolze Handbewegung. Guga betrachtete das Huhn, eine Katze, schwarz wie ein Panther, mit nur drei Beinen, drei Hunde, die sich halb neugierig, halb ängstlich aufgerichtet hatten. Einer von ihnen sah aus wie ein Wolf. »Wenn du menschliche Gesellschaft meinst, muss ich dich enttäuschen.« Er reichte Guga ein Kognakglas und wies auf ein Sofa. »Setz dich,

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