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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Sie würde diesen Menschen eine Stimme geben. Die Sprache wiedergeben. Sie würde herausfinden, wer diesen Einsatz kommandierte. Ihn bloßstellen, sein Gesicht in alle Zeitungen bringen.« Giorgi schüttelte den Kopf. »Als ob das etwas ausmachen würde. Solche Leute sind nicht zu knacken. Gott allein wird sie strafen.«
    »Es ist völlig egal, wer den Einsatz befehligte«, wandte Juliane ein. »Da gab es hundert andere, die das Gleiche getan haben.«
    »Mira denkt – dachte – immer sehr konkret. Sie wollte an einer Stelle beginnen, die Welt in Ordnung zu bringen.«
    »Deswegen kam sie in diesem Frühjahr wieder nach Tbilissi?«, fragte ich. »War das die Absicht ihrer Reise? Einen Kommandeur zu finden?«
    »Nein. Sie kam aus einem anderen Grund. Es hatte mit den Unruhen vor einem Jahr zu tun.« Giorgi sah uns zweifelnd an. »Im April 2009 versuchten verschiedene Oppositionsbewegungen, den Präsidenten, Michail Saakaschwili, aus dem Amt zu jagen. Sie blockierten monatelang Straßen in Tbilissi, bauten mobile Zellen auf, um zu signalisieren, dass das ganze Land ein Gefängnis sei und so weiter. Man kann zum Präsidenten stehen, wie man will, eines hat er geschafft: Er hat die Korruption bekämpft. Und das ist der Knackpunkt.«
    Ich verstand gar nichts. Doch Juliane hatte begriffen.
    »Sie meinen, das nehmen ihm einige Leute sehr übel?«
    »Saakaschwili hat bestechliche Beamte entlassen und etliche Mafiabosse verhaften lassen. Das Land war eine Schimäre: halb Staat, halb ›Firma‹. Mafia eben.«
    »Und Saakaschwili hat das geändert?«
    »Unser Leben ist nicht perfekt«, lächelte Giorgi, »allerdings würde ich sagen, wir befinden uns heute näher an einem Zustand, den man demokratisch nennt, als vor sechs Jahren, als Saakaschwili an die Macht kam.«
    »Können ein paar abservierte Staatsdiener die Bevölkerung motivieren, auf die Straße zu gehen?«, fragte ich erstaunt. In Bayern ging man auf die Straße, wenn die Biergartenöffnungszeiten reduziert werden sollten.
    Schuscha kam zurück, mit einer Thermoskanne und einem Turm aus Plastikbechern. Sie schenkte uns Tee ein. Heißen, dampfenden, verboten süßen Tee.
    »Die Leute waren nach dem Augustkrieg desillusioniert. Saakaschwili hat sich eingebildet, das Südossetienproblem im Handstreich lösen zu können. Da hat er sich bitter getäuscht. Die politische Opposition in Georgien ist total zerstückelt, über 20 Parteien mischen mit. Mira nahm an, dass die alten Paten die Opposition mit Geld dazu brachten, das Volk aufzuwiegeln. Die Mafia musste nach Saakaschwilis Durchgreifen ihre Geschäfte ins Ausland verlegen. Sie haben ein handfestes Interesse, ihren alten Einfluss wiederzugewinnen.«
    »Er hatte gar keine andere Wahl, als anzugreifen, an jenem 7. August 2008!«, warf Juliane ein. »Russisches Militär stand im Roki-Tunnel im Kaukasus. Der liegt zwar komplett auf georgischem Gebiet, doch Georgien hatte seit Jahren keine Kontrolle mehr darüber.«
    »Südossetien ist seit 1990 aus unserem Aktionsradius verschwunden.« Giorgi nickte. »Es hat Berichte gegeben, wonach die Russen bereits zuvor auf dem Gebiet der russischen Föderation, an der Grenze zu Georgien, Militär zusammengezogen hatten. Die berüchtigte 58. Armee. Angeblich um Terroristen zu jagen. Nur braucht man dazu keine 12.000 Mann und Kampfjets.«
    Ich blickte so unbeteiligt wie möglich über die donnernde Avenue. Dort oben, nicht allzu weit, vielleicht 100 Kilometer nach Nordwesten, lag Russland. Ich hatte den Großen Kaukasus mit seinen mehr als 5.000 Meter hohen Gipfeln für eine wirksame natürliche Grenze gehalten, die so leicht nicht zu überwinden schien. Mit Tunneln hatte ich nicht gerechnet.
    »Wo kommt dieser Tunnel her?«, fragte ich schwach. Während Juliane offenbar sämtliche Internetarchive über den Augustkrieg leergelesen hatte, stand ich minderbemittelt neben mir. Zweifel, wachsende Panik. Ich befand mich in einem Land, wo ich vollkommen ausgeliefert war: seinen hitzigen Bewohnern, seiner chaotischen Politik. Dies hier war ein Ort, in dem keine meiner bisherigen Antennen, die mich auf Reisen stets in die sichere Richtung gelenkt hatten, zu funktionieren schienen. Ich wusste nicht, warum.
    »Wurde unter Schewardnadse gebaut. Man sagt, er habe das den Russen zuliebe gemacht.«
    »Unsinn.« Juliane schüttelte energisch den Kopf. »Schewardnadse war eine korrupte Puppe, dem weniger an seinem Land lag als am materiellen Wohl seiner Familie.«
    »Saakaschwili«, nahm Giorgi den

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