Wernievergibt
dachte ich bei mir.
»Namen von Mafiabossen?«
»Namen von Männern, die viel zu verlieren haben.«
»Haben die ihre Schafe nicht längst im Trockenen?«, hakte Juliane nach.
»Es geht um Drogen«, erwiderte Giorgi. »Ganz Eurasien lebt vom Transit. Es geht um Einfluss und Kontrolle der Drogenrouten aus den Mohnanbaugebieten in Afghanistan. Glauben Sie nicht, dass irgendein mittelasiatisches Land sauber ist! Und glauben Sie nicht, dass es in der Politik um etwas anderes geht als um Drogengeld! Die Kartelle wollen ihre Einflussgebiete kontrollieren, und wenn ihnen die Politik in die Quere kommt, sorgen sie dafür, dass die Situation sich destabilisiert. Harmlos, wenn sie die Energieversorgung stören. Nein, sie suchen sich Männer, die für Geld alles machen, stecken sie in Tarnanzüge und schicken sie zur ethnischen Säuberung und Massenvergewaltigung. Die Politiker halten die Macht aufrecht, weil der Drogenhandel ihr Geschäft ist. Mit dem Profit versorgen sie ihre Clans und finanzieren ihre Sicherheit. Sprich, sie kaufen Waffen, um sie den Kerlen im Flecktarn in die Hände zu drücken. Beobachten Sie Kirgistan in den nächsten Wochen! Bakijew, der Präsident, hat gewaltige Probleme, aber mit denen wird er fertig, selbst wenn sie ihn ins Exil schicken. Die Drogen müssen nach Westen, um jeden Preis.«
»Und der Augustkrieg?«, fragte Juliane. »Hat da auch einer verdient?«
»Wissen Sie, dieser Krieg war ein Witz. Ein Versehen. Und doch unvermeidlich. Ganz unvermeidlich. Saakaschwili hat einen Fehler gemacht, als er den Angriff befahl. Fünf Tage Krieg haben Georgien auch wirtschaftlich zurückgeworfen. Wir haben amerikanische Militärberater im Land. Manchmal denke ich, die Yankees haben Georgien als Labor verwendet. Haben dem Präsidenten gesagt: Mischa, greif an! Um herauszufinden, wie die Russen reagieren würden. Wie die Provokation beantwortet wurde, haben wir ja gesehen. Letztlich ging es überhaupt nicht um Südossetien. Eine Bergregion aus tief eingeschnittenen Tälern, mit ein paar Dörfern, die im Winter monatelang von der Außenwelt abgeschnitten sind. Es ging um Russlands Einfluss, und es ging darum, dass Georgien und Aserbaidschan einen alternativen Weg gefunden haben, das Öl aus dem Kaspischen Meer nach Westen zu bringen. Sie umgehen Russland. Das lassen die sich nicht bieten.« Giorgi brach ab.
Ich hatte so viele Theorien gehört, wie es zu dem Krieg im August 2008 gekommen war, dass ich ähnlich wie Giorgi bezweifelte, es könne einen einzigen Anlass gegeben haben. Wie üblich im Leben erwies sich wahrscheinlich auch in dieser Angelegenheit ein kleiner, an sich unbedeutender Zufall als Turbolader.
»Sie haben den Zettel mit den Namen noch?«, wollte ich wissen.
»Ja!«
Schuscha nahm Giorgi den leeren Plastikbecher ab.
»Hat Mira mit Ihnen über eine gewisse Clara Cleveland gesprochen?«
Giorgi überlegte. »Sie hat den Namen erwähnt. Ich dachte nur, Mensch, die Cleveland, über die berichtet jeder hier. Wahrscheinlich eine ganz gute Ablenkung für Mira. Sie liebte Opern.«
»Sie denken, der Kontakt mit Clara war für Mira Ablenkung? Freizeit oder was auch immer?«
»Sicher.«
»Könnte Clara etwas über Südossetien wissen oder diese Geschichte mit den Paten?«
»Nein. Bestimmt nicht.«
»Warum sind Sie so sicher?«
Er zuckte die Achseln. »Es wird heute oder spätestens morgen über die Ticker gehen«, sagte er. »Dass eine Ausländerin in Meßcheti verunglückt ist. Tödlich. Ich gebe es gleich über Twitter raus. Haben Sie einen Twitteraccount?«
Ich nickte.
»Abonnieren Sie meine Tweets.«
Ich sah, wie Juliane herumfuhr. So ruckartig, dass ihre Kreolen wild schaukelten. Sie sagte etwas zu Schuscha. Die zuckte die Schultern.
»Was ist?«, zischte ich.
»Wieder der Typ. Schau dich nicht so auffällig um.«
Ich fühlte den Schweiß meinen Nacken hinunterrieseln.
»Wissen Ihre Kollegen in der Redaktion von Ihren … Interessen?«, fragte ich.
»Einer oder zwei kannten Mira. Wo – ist ihre Leiche?«
»Noch nicht freigegeben. Die Polizei hat eine DNA-Analyse gemacht und einwandfrei festgestellt, dass es sich bei der Leiche um Mira handelt. Die deutsche Botschaft wird eingeschaltet. Man muss ihre Angehörigen verständigen. Ihr Leichnam wird nach Deutschland überführt, sobald die Untersuchungen beendet sind.«
Ein plötzlicher Windstoß schlug eine Kerbe in den Asphalt. Unsere Plastikbecher kippten um, Schuscha hielt sich das Kopftuch. Giorgis Haar richtete sich auf,
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