Wernievergibt
und solche, die mit ihren Fingern auf das Fleisch drückten, Gurken in den Händen wogen und Fliedersträuße verglichen. In der prallen Sonne wurde es heiß.
»Schuscha?«, fragte Juliane eine Frau. »Kennen Sie Schuscha?«
Die Verkäuferin wies auf eine alte Frau, die hinter ihrem Stand auf einem Karton saß. Sie mochte um die 60 sein, hatte ein ebenmäßiges Gesicht, in dem die schwarzen Augen wie Kohle glänzten, gesäumt von herrlich geschwungenen Wimpern. Sie lächelte und ihr Mund formte ein Herz. Das Gesicht aus makelloser Porzellanhaut zerfiel in Abertausend Fältchen.
»Ich bin Schuscha«, sagte sie. Sie trug schwarz, wie die meisten hier, Alte wie Junge. Um das Kopftuch, das nicht die feinste Haarsträhne preisgab, hatte sie einen Schal geschlungen. In ihrer Jugend musste sie Miss Georgia gewesen sein. Mindestens.
»Wir suchen Giorgi«, sagte Juliane. Die Alte zeigte in die Ferne. Ich drehte mich um und sah einen langen Kerl auf uns zukommen. Sein Haar war zu lang, schlecht geschnitten, und seine Augen sahen trauriger drein als Gugas.
»I am Giorgi.« Er trat auf Schuscha zu und küsste sie zärtlich auf beide Wangen.
»Ist sie seine Mutter?«, fragte ich Juliane.
»Sag mal, bin ich mit denen verwandt?«, kauzte sie zurück.
»Probieren Sie«, forderte Giorgi mich auf. »Geräucherter Sulguni. Meiner Meinung nach der beste Käse, den wir haben.«
Schuscha schnitt von einem orangeroten Käseleib ein Stück ab. Das Innere war weiß wie Milch.
»Hm, fein.« Ich meinte es ehrlich.
»Wenn es um Mira geht«, sagte Giorgi, »treffe ich mich lieber auf der Straße. Hier können wir nicht belauscht werden.«
»Wo war Mira dran?«
»Warum ›war‹?«
»Weil sie tot ist.«
Giorgi wurde blass. »Sie ist tot?«
Schuscha kämpfte sich von ihrem Karton hoch und ging weg. Giorgi sah ihr nach, wie sie schlenkernden Schritts durch das Getümmel hinkte.
Mit kurzen Sätzen, die ich meinem verkaterten Hirn nicht zugetraut hätte, setzte ich Giorgi ins Bild. »Deshalb sind wir in Georgien, um diese Reportage zu schreiben«, endete ich. »Miras Nachfolgerinnen sozusagen.«
Giorgi sank mit einem gemurmelten ›Excuse me‹ auf Schuschas Pappkarton. Er brauchte ein paar Minuten, ehe er sich soweit beruhigt hatte, dass er sprechen konnte. »Ich schreibe die politischen Hintergrundgeschichten für Rustawi 2. Natürlich nicht ich allein, aber ich bin am längsten dabei. Im Augustkrieg 2008 war ich in Zchinwali. In der Hauptstadt Südossetiens. Da habe ich Mira kennengelernt. Über Twitter standen wir eine Zeitlang in Kontakt. Wir haben ziemlich schnell das Weite gesucht und sind zusammen auf komplizierten Wegen nach Tbilissi geflüchtet.« Er seufzte tief, schnitt ein Stück Käse ab und knabberte daran herum. »Es stimmt, dass Mira versuchte, mehr über die Schlächter herauszufinden. Sie steigerte sich monatelang in diese Sache hinein. Nach einiger Zeit sah sie ein, dass es keinen Sinn machte. Keine noch so energische Journalistin der Welt würde hier irgendwas ausrichten.«
»Wenn nicht der Journalismus, wer dann? Die UNO? Den Haag?«
Giorgi schüttelte den Kopf. »Das ist unerheblich. Sicher, viele von uns, die im Augustkrieg für die Medien berichtet haben, hatten für etliche Wochen so etwas wie ein Sendungsbewusstsein. Wir versuchten, den Schock zu verarbeiten, indem wir schrieben und schrieben, recherchierten und Netzwerke aufbauten. Irgendwann merkt man, dass man nur sich selbst therapiert. Für unser Land konnten wir nichts tun.«
Ich legte die Hände vors Gesicht. Die Sonne brannte auf mein Haar.
»Mira und ich flohen gemeinsam nach Tbilissi. Unterwegs erzählte sie mir diese Geschichte, wie sie auf einem Hang lag und das Schlachten beobachtete. Sie war einerseits übererregt, andererseits teilnahmslos. Hatte die Gefühle völlig ausgeschaltet.« Giorgi war nun so blass, dass ich mir Sorgen machte, er würde umkippen. »Irgendwo in Gori lasen wir einen Jungen mit seinem Opa auf. Der Alte hatte eine Kugel im Kopf. Er konnte gehen, essen, trinken, pinkeln. Nur nicht sprechen.«
Giorgi schwieg eine Weile. Ich legte den Kopf schief. Der Lärm des Verkehrs, das Chaos der vielen Menschen um uns verblasste. Ich hörte die Häuser sprechen. Geschichten erzählen, unter der Hand, von Beton zu Beton. Geschichten wie diese. Aus einem Land, das viele Male überrollt worden war. Von Persern, Osmanen, Russen. Man wurde hier schnell parteiisch. Ein Ghost durfte das. Eine Reporterin nicht.
»Mira tat einen Schwur.
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