Werwelt 01 - Der Findling
große war darunter, die übrigen, etwa ein halbes Dutzend, waren noch klein. Doch in dem Nest sah es aus, als wären ihrer Hunderte. Ihre sich schlängelnden Leiber züngelten nach allen Richtungen, und Martin hüpfte und stampfte und schlug mit seiner Schaufel wie einer, der die Hose voller Hornissen hat.
»Ho! Ho! Aufgepaßt! Puh!« Martin tänzelte auf Zehenspitzen, landete manchmal mit den Füßen auf den Schlangen, sprang so hoch, daß man den Eindruck hatte, er versuche, in der Luft stehenzubleiben, ohne den Boden zu berühren, und die ganze Zeit hörte er nicht auf, den scharfen Rand seiner Schaufel abwärts zu stoßen. Robert fand den Anblick komisch und fing an zu lachen und herumzuhüpfen. Martins Luftsprünge waren einfach zu komisch; der stämmige, braungebrannte Bauer in seiner Arbeitshose, der da herumsauste, als hätte er den Veitstanz, und dabei mit dieser hohen, erregten Stimme durch das Hühnerhaus schrie, schien plötzlich wieder ein junger Mann geworden zu sein.
Als die Schlangen alle in Stücke geschlagen waren und nur noch wie ein Haufen zerschnittener Gartenschläuche aussahen, kam Martin zur Tür. Das graue Haar hing ihm in Strähnen in die Augen, und sein verwittertes Gesicht war verschmiert von Schweiß und Schmutz.
»Da, das war wohl komisch, Robert?« Er lehnte die Schaufel gegen den einen Türpfosten und sich selbst gegen den anderen und stand ein paar Minuten lang nur da und keuchte. »Ich glaub nicht, daß mich eine gebissen hat«, sagte er, als sein Atem wieder etwas ruhiger ging.
»Eigentlich mußte ich gar nicht lachen«, sagte Robert. »Ich meine, ich mußte lachen, als ich dir zugesehen habe, wie du rumgehüpft bist, aber ich weiß, daß es in Wirklichkeit nicht zum Lachen war.«
»Ist ja gut, mein Junge. Ich bin nicht mehr so rumgesprungen, seit ich mit deiner Tante Cat bei Renees Hochzeit oben in Grand Rapids war. Da ist uns vor lauter Polkatanzen beinahe die Luft weggeblieben.«
Ich aber denke, wie langsam und schwerfällig die Angriffe des alten Bauern auf die Schlangen waren, die da vom Licht überrascht und benommen waren und in höchster Panik. Es wäre ein Leichtes gewesen, einfach eine nach der anderen zu packen und zu töten, solange sie so verwirrt waren. Eine Zeitlang mache ich mir verwundert Gedanken darüber, daß die Menschen so schwerfällig sind. Aber sie sind auch schlau und hinterhältig.
Robert hatte sich daran gewöhnt, daß der Bauer und Tante Cat mit ihm spielten, so wie man eben mit kleinen Menschenkindern spielt. Sie tobten mit ihm auf dem Bett herum, nahmen ihn bei den Armen und schwangen ihn im Kreis, ließen ihn auf ihren Knien reiten. Und ich habe es mir – notwendigerweise – zur Pflicht gemacht, jedes Flackern einer Wandlung zu vermeiden, solange diese körperlich überraschenden Dinge geschehen. Nur aus diesem Grund – weil ich mich stets zurückhalte, wenn Robert sich in der Geborgenheit seiner häuslichen Umgebung befindet – konnte Tommy Robert ohne Mühe in seine Gewalt bringen, als der Junge an jenem letzten Morgen nach unten kam; nur weil ich nicht sofort reagierte. Als Robert auf dem Weg zum Frühstück leise Stimmen hörte, die ihm fremd waren, hatte er ganz einfach angenommen, sie kämen aus dem Radio.
»Komm her, Bürschchen«, sagte der junge Mann mit dem schmalen Vogelgesicht, während er sehr fest Roberts Arme gepackt hielt.
»So, du setzt dich jetzt auf den Stuhl da und rührst dich nicht, sonst dreh ich dir den Kragen um.«
Robert setzte sich auf den Stuhl am Eßzimmertisch und brauchte eine ganze Weile, die Szene zu erfassen, weil sie so befremdlich war. Tommy schien ängstlich zu sein. Seine Füße waren in ständiger Bewegung, wie bei einem kleinen Jungen, der dringend auf die Toilette muß, und sein spitzes Hühnergesicht war kreideweiß. Tante Cat saß auf einem anderen Stuhl am Tisch, die Hände ungewohnt still auf dem dunklen Holz. Ihr langes unschönes Gesicht verriet Furcht, aber ihre Lippen waren fest zusammengepreßt, und in ihren Augen, die dem kleinen rothaarigen Mann folgten, flammte mehr Haß, als Robert ihr zugetraut hätte.
Rusty wirkte hier im Haus größer, als er mir unter der Eisenbahnbrücke erschienen war, aber ich hatte ihn ja auch unter anderen Umständen gesehen. Während Robert stumm auf seinem Stuhl sitzt, überlege ich, ob Gus und der alte kranke Mann auch mitgekommen sind, und wo Martin ist. Ich spiele mit dem Gedanken, mich ganz plötzlich zu verwandeln, aber mir ist nicht recht klar, wie
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