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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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Lächeln, während die Augenlider leise zu flattern begannen und sich vielleicht geöffnet hätten, wenn Robert nur noch einen Augenblick länger auf Martin hätte hinuntersehen können. »Robert!«
    Die Stimme war ein lautes Zischen, ähnlich dem, das aus den Kulissen kommt, wenn ein Schauspieler zurückgerufen wird, der auf das falsche Stichwort hin vor den Vorhang getreten ist. Vaire stand in der Eßzimmertür. Sie trug einen langen wattierten Morgenrock, und ihr Gesicht war nur ein weißes Oval im dämmrigen Licht. Ihre Augen wirkten unnatürlich groß, Eulenaugen, die in die Dunkelheit spähten. Nur einen Moment lang blieb sie stehen, dann eilte sie hastig zu Robert und zog ihn in ihre Arme, drückte ihn an ihren warmen Körper, während sie sein Haar küßte und gleichzeitig weinte. Sie schob seine magere kleine Gestalt unter ihren Morgenrock und hüllte ihn ein.
    Robert begann zu schluchzen und zu zittern wie damals an jenem ersten Abend. Er fühlte sich plötzlich so schwach, daß er kaum noch stehen konnte, spürte Übelkeit im Magen, Schwindel im Kopf. Er umschlang Vaire mit seinen Armen und drückte seinen Kopf weinend an ihre Schulter, während ihre Tränen in sein Haar flossen.

    Robert mußte natürlich etwas über das Untier sagen, von dem sie glaubten, es hätte ihn an jenem Tag aus dem Haus geschleppt. Von Vorteil für ihn war die Tatsache, daß seine Erinnerungen an die Ereignisse wirklich nur sehr verschwommen waren. Der Aufruhr von Gefühlen, der ihn selbst überwältigt hatte, und die plötzliche Verwandlung waren für ihn so verwirrend gewesen, daß ihm nur das Entsetzen und die Angst und das Blut im Gedächtnis geblieben waren, und der Anblick des alten Bauern, der mit glasigen Augen und zerfetzter Brust auf der Veranda gelegen hatte. Er umklammerte die Mundharmonika, als wäre sie sein Talisman, und erzählte seine bruchstückhafte Geschichte der Familie, dem Coroner und einigen Beamten der State Police, die sehr imposant und ehrfurchteinflößend aussahen in ihren grauen Uniformen mit den breiten Ledergürteln, an denen die Pistolenholster hingen.
    Die Aussagen der Eisenbahnarbeiter, von deren Draisine nur noch ein Haufen Splitter übrig war, die den »Lakeshore Limited« zierten, trugen auch nicht zu einer Erhellung der Angelegenheit bei; ihre Berichte nämlich erschöpften sich in höchst phantastischen Mutmaßungen, da ja nur zwei von den Leuten das Wesen, das da am Morgen aus dem Geräteschuppen hervorgebrochen war, einigermaßen klar gesehen hatten.
    Roger Rustum und Thomas Prokoff widersprachen sich ebenfalls in ihren Berichten. Rustum behauptete, das Untier hätte einen Rachen wie ein Hai gehabt und Arme wie ein Bär, während Prokoff mehr eine Art Berglöwe gesehen haben wollte. Oliver Hackett hatte gar nichts zu sagen, da er unter ständiger Einwirkung von Betäubungsmitteln stand, die man ihm zur Linderung der durch die Tuberkulose ausgelösten Schmerzzustände verabreichte.
    Aufgrund dieser Hinweise hätte man auf keinen Fall einen streunenden Hund verantwortlich machen können. Da erst eine Woche zuvor ein Wanderzirkus durch Cassius gezogen war, redeten sich die Behörden flugs ein, der Übeltäter könne nur ein aus diesem Zirkus ausgebrochener Menschenaffe gewesen sein. Eine telegrafische Anfrage bei dem betreffenden Zirkus jedoch machte diese Theorie zunichte; keines der Tiere war ausgebrochen.
    Weitere Hinweise auf die Existenz des seltsamen Wesens liefen auf den Polizeidienststellen in einem halben Dutzend Orten in Michigan ein, sobald die Abendzeitung, die einen Bericht über den Vorfall brachte, ausgeliefert worden war. In den folgenden Wochen sahen die Leute so ziemlich jede Art von Ungeheuer von King Kong über den Wolfsmenschen bis zu Frankensteins Monster, wobei King Kong einen Vorsprung von drei zu eins hatte.
    Vaire und Walter hatten Robert in ihr Haus nach Cassius mitgenommen und ihm das Zimmer im ersten Stock gegeben, das dem von Anne gegenüberlag. Dort schlief er in einem breiten, durchgelegenen Doppelbett, dessen Sprungfedern jedesmal ächzten und stöhnten, wenn er sich des Nachts umdrehte. Das Bett gehörte wie das Haus selbst Großmutter Stumway, die Tante Cats Mutter war. Robert, der versuchte, diese Erwachsenen ins rechte Generationen-Verhältnis zu bringen, glaubte, sie müsse beinahe so alt sein wie die Erde selbst.
    Robert fühlt sich wohl, aber ich verspüre manchmal Lust, mich davonzumachen und auf Wanderschaft zu begeben. Doch da ich nun seit Tagen

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