Werwelt 01 - Der Findling
schlage es mir aus dem Kopf.
»Essen wir doch erst fertig. Dann können wir das Ding immer noch rausholen«, sagt ein kleiner rundlicher Mann in einem Overall. »Das ist ein verdammt schwerer Brocken.«
Noch ehe sein Gefährte, der teilweise hinter dem geöffneten Türflügel verborgen ist, antworten kann, stürme ich zu der halbgeöffneten Tür und pralle krachend mit der Schulter dagegen.
»Heiliger Himmel!« schreit der Dicke, als ein wuchtiger Schlag meiner Schulter ihn trifft. Er torkelt und stürzt. Der andere Mann ist größer und hält eine Schaufel. Ich donnere durch die Tür, aber der andere Mann schlägt mit seiner Schaufel nach mir. Mitten im Sprung schlage ich mit einem Hinterlauf aus, treffe den Mann direkt in die Brust, so daß die Schaufel nur meinen Rücken streift. Dann fliege ich die Böschung hinunter, rutsche durch den Kies ins hohe Gras, setzte in ungeschicktem Sprung über den Bach hinweg, während hinter mir Geschrei und Tumult ausbrechen. Schon biege ich um die Hecke, um im gestreckten Lauf davonzupreschen, den Männern aus den Augen.
Aber ich habe die Zäune vergessen. Stacheldrahtzäune, die ersten beiden in vier Reihen, dann einer mit fünf straffgespannten gestachelten Bändern, und in der Ferne kann ich noch mindestens zwei weitere erkennen. Sie behindern mich, und ich höre das Schreien und Brüllen der Männer, die den Bahndamm entlanglaufen. Im Schutz der Dornenhecke lege ich eine kurze Verschnaufpause ein. Es ist sehr heiß. Flimmernd steigt die Hitze der Sonne aus der dunklen Erde des Maisfeldes auf, wo die Halme mit den tiefgrünen Blättern etwa zwei Fuß hoch stehen. Bis zu den fernen Zäunen hin dehnt sich das lebhafte Grün; und dort sehe ich Baumgruppen, das Dach einer Scheune, andere Gebäude. Dahinter liegt die Ostweide der Nordmeyers, die, auf der die Guernsey-Kühe grasen.
Plötzlich hab’ ich einen völlig klaren Kopf. Ich rieche das verkrustete Blut in meinem Fell. Beinahe hätte ich wieder eine Torheit begangen. Einen Moment lang frage ich mich, ob ich krank bin; dann höre ich das Klirren eiserner Räder auf den Gleisen und erregte Stimmen. Die Männer jagen mir mit einem Wagen nach, den sie auf die Gleise bugsiert haben. Hinter dem Ende der Hecken gibt es keinen Schutz, und jetzt werden sie vor mir dort anlangen. Die Augen knapp über den Gräsern, blicke ich die Hecke entlang nach hinten. In den wabernden Hitzewellen, die vom dunklen Boden aufwallen, sehe ich die verzerrten Gestalten eines halben Dutzends von ihnen, die, mit Schaufeln, Hacken und Eisenstangen bewaffnet, eine Kampfreihe gebildet haben. Ihre Stimmen dringen jetzt aus zwei Richtungen auf mich ein. Die Männer auf der Draisine haben das andere Ende der Hecke erreicht.
Die Hecke ist zu dicht und zu stachelig; ich kann nicht durch sie hindurchkriechen. Und die Zeit reicht nicht aus, um sich unter ihr hindurchzuwühlen; Hecken haben zu viele Wurzeln. Das Maisfeld mit seinen endlosen Reihen niedrig stehender Pflanzen bietet überhaupt keinen Schutz. Ich bin gefangen, gefangen aufgrund meiner eigenen Torheit. Doch jetzt ist nicht der Moment, sich über die Ursache solchen Schwachsinns den Kopf zu zerbrechen. Von beiden Seiten der Hecke her rücken die Männer vorsichtig näher, wobei sie unentwegt mit ihren Schaufeln und Stangen ins Gras und in die Hecke stochern. Ich rieche meine eigene Angst. Ich versuche, mich auf Robert Lee Burney zu konzentrieren, aber ich kann es nicht. Da ist irgendeine Sperre, die ihn daran hindert emporzutauchen. Mit Verwunderung wird mir klar, daß er nicht herauskommen will. Jeder Versuch, eine andere Tiergestalt anzunehmen, wäre sinnlos. Dazu bin ich zu unerfahren. Ich habe kein Verlangen, Menschen zu verletzen. Die, über die ich auf dem Hof der Nordmeyers herfiel, bedrohten mein eigenes Leben, aber diesen Männern hier möchte ich nichts antun. Außerdem wäre es gefährlich, mich so vielen Zeugen zu zeigen; das würde zweifellos eine Großjagd auslösen, der zu entrinnen ich in meinem gegenwärtigen Zustand Mühe hätte.
»Ich komme raus, wenn du zurückgehst«, sagt eine hohe, klare Stimme.
Ich fahre hoch und lasse mich sogleich wieder flach ins Gras fallen. Die Stimme ist die von Robert, und sie kommt aus meinem eigenen Geist. Er will einen Pakt mit mir schließen. Am liebsten würde ich lachen. Ich denke die Worte, wenn du jetzt nicht herauskommst, wird es uns beiden schlecht ergehen, vielleicht werden wir sogar getötet.
»Versprich mir, daß du
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