Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
Vom Netzwerk:
wenig anmutig zupacken, um sie zu fassen zu kriegen, bevor sie aus dem Mund fiel.
    Und wenn das umständliche Verfahren dann abgeschlossen war, fiel seine Antwort ausgesprochen dürftig aus.
    »Ja, wie soll es denn sonst gewesen sein?« pflegte er schließlich zu fragen, als wäre die Unmöglichkeit, eine Antwort zu finden, der Beweis für die Überlegenheit des gesunden Menschenverstands in allen Dingen.
    Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, eine Zeitlang im Dunkeln in meiner natürlichen Gestalt im Bett zu liegen, um mich zu entspannen. Selbst dort, wo man eingeengt und gefangen ist, ist es gut und tröstlich, wieder man selbst zu sein. Außerdem kann ich auf diese Weise mühelos den Gesprächen lauschen, die unten geführt werden. Robert selbst hätte das meiste hören können, wenn er zur Luftklappe im Boden seines Zimmers hinübergegangen wäre und sie nur ein kleines Stück aufgeschoben hätte. Die viereckige Öffnung, die unten und oben eine lameliierte Klappe hat, geht zum Eßzimmer durch, befindet sich in der Ecke direkt neben der Schiebetür zum Wohnzimmer.
    Eines Abends sitze ich dort auf dem Boden und blicke durch die Ritzen in den warmen Dämmerschein, lausche, wie ein Gefangener den vielfältigen Stimmen der Sommernacht lauscht. Ich höre Tante Cat, Walter und Vaire, die im Eßzimmer um den Tisch sitzen und selbstgebrauten Wein vom Hof trinken. Tante Cat hat bereits einiges über den Durst getrunken, und Walter bemüht sich, sie zu bremsen; viel allerdings richtet er nicht aus gegen die ältere Frau, die seine Bemerkungen einfach vom Tisch fegt, als wäre er ein Kind.
    »Aber du hast doch selbst wiederholt gesagt, Mutter«, wendet Walter ein, »daß du keine klare Erinnerung daran hast, wie das Tier ausgesehen hat. Jetzt erklärst du plötzlich, daß du dich ganz genau erinnern kannst.«
    Er macht sich daran, den Kopf seiner Pfeife mit einem Löffelstiel auszukratzen, um ihn frisch zu stopfen.
    »Bei wildfremden Menschen, wie diesen Leuten von der Zeitung, Polizeibeamten und so muß man vorsichtig sein mit dem, was man sagt. Man weiß nie, was sie im Schilde führen«, versetzt die ältere Frau.
    Ich höre, wie Vaire mit gesenkter Stimme auf ihre Mutter einredet. Ein Schluck Wein sei sicher gesund, sagt sie, aber allzu viel davon sei auch keine Hilfe gegen Kummer und Schmerz. Ihre Mutter entgegnet, daß gegen Kummer und Schmerz überhaupt nichts hilft, der Wein aber noch das beste sei. Walter übt jetzt geflissentliche Zurückhaltung im Gespräch, während Tante Cat zusehends aufgebrachter wird. Vaire weist darauf hin, daß die Kinder unmittelbar oberhalb schlafen, aber Tante Cat ist nicht mehr zu halten. Sie hat etwas zu sagen, und es scheint, daß sie entschlossen ist, es an den Mann zu bringen.
    »Vaire! Victoria, du bist doch meine Tochter, meine Große! Wie kannst du seelenruhig hier am Tisch sitzen und mir erklären, du hättest dieses Untier nicht gesehen!«
    »Aber Mutter, wenn da plötzlich ein großer, verwilderter Hund hereingesprungen kam –« begann Walter, doch die beiden Frauen ignorierten ihn.
    »Natürlich habe ich es gesehen, Mutter, aber ich kann mich an Einzelheiten nicht mehr genau erinnern. Du weißt noch, dieser Mann hatte mir den Arm umgedreht, und dann sprang er plötzlich auf und nieder wie von der Tarantel gestochen und brüllte wie ein Wahnsinniger und fuchtelte dabei unentwegt mit dem Messer herum. Ich dachte, er wolle mich umbringen.«
    »Weißt du nicht mehr, wie dieses – dieses Ding sich hinten an der Tür aufrichtete, direkt neben der Leiche deines Vaters«, rief Tante Cat jetzt mit immer lauter werdender Stimme, »und direkt zu uns herübergeschaut hat?« Sie legte eine kurze Pause ein, um ihren Worten dramatisches Gewicht zu geben und einen Schluck aus ihrem Glas zu trinken. »Und in seinen Zähnen hielt es Martins Mundharmonika!«
    Ich lausche jetzt mit solcher Anspannung, daß ich kaum noch atme. Vielleicht habe ich die menschliche Fähigkeit, Fremdes und Befremdliches anzunehmen, unterschätzt.
    Ich höre, wie Walter seinen Stuhl zurückschiebt. Auch Vaire steht auf. Tante Cat springt mit heftiger Bewegung von ihrem Stuhl auf. Jetzt stehen sie alle drei.
    »Du hast es gesehen, Vaire!« Sie schreit beinahe. »Da war nirgends ein kleiner Junge, da war keine Spur von Robert zu sehen, weder drinnen im Zimmer noch draußen bei dem Ungeheuer. Und das Tier hatte Martins Mundharmonika zwischen den Zähnen, auf der er noch am Morgen gespielt hatte, während ich das

Weitere Kostenlose Bücher