Werwelt 01 - Der Findling
wie es war und wirklich ist. Und ich weiß nicht, was sie damit meint, aber ich habe Angst um Robert.«
Während ich diesem Gespräch zuhöre, frage ich mich, was ein Medium wohl sein mag, was so ein Medium wohl vermag.
»Um Robert?«
Walter hat offenbar die frühere Episode vergessen, als seine Schwiegermutter betrunken war und behauptet hatte, der Junge sei ein Dämon. Ich fange an, mir darüber Gedanken zu machen.
»Walter, ich möchte Mutter so gern helfen, aber ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll. Was können wir tun?«
Walters Stimme bekommt einen gebieterischen Unterton.
»Nun, zunächst einmal müssen wir diesen Menschen kennenlernen, um uns ein Bild von seinem Charakter und seinen Motiven zu machen, ehe wir versuchen, etwas zu unternehmen. Dann wären vielleicht sogar gerichtliche Schritte angebracht.«
Der Rest des Gesprächs interessiert mich nicht, und spät in der Nacht schlüpfe ich lautlos aus dem Haus, um im kühlen Fluß ein ausgedehntes Bad zu nehmen und in den schlammigen Untiefen das Boot eines nächtlichen Fischers umzukippen. Bisher hatte ich keinen sonderlichen Hang zum Streichespielen, aber in mir lodert diese Rastlosigkeit, die kein Ventil zu haben scheint, und sie verleitet mich zu den merkwürdigsten Dingen. Leise lachend, dunkel und unsichtbar wie ein Otter, liege ich auf dem Rücken im Wasser und lausche dem Schimpfen und Planschen des Fischers, als dieser, sein Boot im Schlepptau, ans Ufer watet. Vielleicht habe ich ihn aber auch nur aus Rache umgekippt, weil ich mich früher einmal bei einem nächtlichen Ausflug in der Schnur verfangen habe, die er über Nacht ausgespannt hatte, und dabei einen Haken in meinen rechten Hinterfuß bekommen habe. Auf jeden Fall freut es mich, ihm zuzusehen, wie er im dunklen Wasser herumstampft, und zu hören, wie er flucht. Der letzte Gedanke, der mir durch den Kopf geht, ehe ich mich oben in Roberts Zimmer wieder zurückverwandle, ist der, daß das die Sache des Jungen ist und nicht die meine, und auch diese Unterscheidung ist etwas ganz Neues.
Der Versuch, Shirley durch Anne zu ersetzen, erwies sich komplizierter, als Robert geglaubt hatte. Anne fand es lustig, mit ihm in der Garage Doktor zu spielen, aber so aufregend wie das Sandwich-Spiel, das die drei Bandenmitglieder immer in der Höhle gespielt hatten, wurde es nie, und Robert wollte das wieder. Der Haken war, daß Anne Willie nicht mochte, und Willie nicht in den Garten der Woodsons kommen durfte. Ohne Shirley aber wollte Willie einfach nicht in die Höhle, und er wurde immer bösartiger, als sie am Ende der Woche noch immer nicht aus dem Krankenhaus zurück war. Robert meinte, es müßte doch ein Mittel geben, Anne davon zu überzeugen, daß eine Bande etwas Lustiges war, daß Willie in Wirklichkeit ein aufregender Bursche war, und daß es sich lohnte, sogar vor den eigenen Eltern ein paar Geheimnisse zu haben. Daß das letztere besonders schwierig werden würde, war ihm klar, da Anne sogar unter anderen Plappermäulern berüchtigt dafür war, daß sie ihrer Mutter alles erzählte, was passierte. Am Tag, als der große Hagel kam, war es dann endlich so weit.
Robert, um den man, da er ein Junge war, weniger fürchtete, durfte mit Willie spielen; Anne nicht. Gleich nach dem Mittagessen ging er zu Willie hinüber und spielte mit ihm in dem großen ungepflegten Sandkasten im Garten, da es im Haus drückend heiß war. Willies Vater allerdings lag irgendwo da drinnen und schlief. Er arbeitete nachts und schlief meistens bis zum späten Nachmittag.
Robert brachte immer wieder das gleiche Thema zur Sprache.
»Warum kann denn Anne nicht in unsere Bande aufgenommen werden?«
»Weil sie eine alte Petze ist.«
»Aber sie sagt bestimmt nichts, wenn wir sie schwören lassen, daß sie den Mund hält.«
»Ach, die erzählt ihrer Mutter doch alles.«
»Aber diesmal bestimmt nicht, weil sie nämlich immer das tut, was ich sage, und ich sag ihr, daß sie nichts verraten soll.«
Willie ließ sich das einen Moment lang durch den Kopf gehen. Es schien so, als würde Shirley noch eine ganze Weile im Krankenhaus bleiben müssen, und keiner hatte was von der schönen Höhle. Und in zwei Wochen fing die Schule wieder an. In zwei Wochen!
»Na ja, ich weiß nicht. Sie mag mich nicht, und ich mag sie auch nicht.«
Erst als Willie aufblickte und rief, »Mensch, schau mal die schwarze Wolke da«, merkten die beiden Jungen, wie finster es geworden war. Robert sah zu der gewaltigen Gewitterwolke auf,
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