Werwelt 01 - Der Findling
die, am unteren Rand von einem tiefen Violett, das fast schwarz wirkte, lautlos über ihnen dahintrieb und die Sonne verdunkelt hatte. Der ganze Himmel war jetzt mit einem schwarz-violetten Schleier verhängt. Kein Lüftchen regte sich, und Blätter und Grashalme waren völlig unbewegt, als wären sie in der durchsichtigen Sommerluft leise und unbemerkt zu Glas erstarrt. Robert spürte die Stille in seiner Kehle, und einen Moment lang hielt er den Atem an. Es würde ein heftiges Gewitter geben, und Gänsehaut überzog seinen Körper bei dem Gedanken. Erst seit kurzer Zeit hatte er ein Gefühl für die ehrfurchtgebietende Macht der Natur entwickelt, und er liebte es, die Blitze zu beobachten und sich vom Donner erschrecken zu lassen. Aus weiter Ferne kam das tiefe, heisere Grollen des aufziehenden Gewitters.
»Das gibt einen Riesenguß, was?« meinte Robert.
»He, ihr kleinen Scheißer, kommt ins Haus«, rief Mr. Duchamps von der Veranda. »Gleich wird’s zu regnen anfangen, wie wenn Merkur auf ’ne Trommel pißt.«
Willie und Robert trödelten herum, bis die ersten großen Tropfen herunterprasselten und wie Schrotkörner in den Sand klatschten. Die Jungen quietschten und zogen die Köpfe ein, als würfe jemand mit Steinen nach ihnen. Dann tobte der Wind los, beugte die Bäume, als wollte er sie in die Knie zwingen, und der Regen strömte in Kaskaden herunter. Sie waren beide tropfnaß, ehe sie lachend und schreiend zur Veranda rannten.
»Los, macht, daß ihr reinkommt«, brüllte Mr. Duchamps.
Völlig durchnäßt, als hätte man sie beide bis über den Kopf in den Fluß getaucht, stürzten sie auf die Veranda, und Mr. Duchamps stellte zustimmend fest, daß sie in der Tat nicht nässer werden könnten, und ließ sie draußen im Regen spielen, wo sie wie zwei magere kleine Satyrn herumsprangen. Dann wurde es plötzlich kalt, und sie stürzten ins Haus. Eisig war es mit einem mal, und die heiße Luft, die sich im Hause aufgestaut hatte, wurde zu Dampf, als sie in den kühlen Regen hinauswallte. Die Erde, die Bürgersteige, die Straßen, die Automobile, alles begann zu dampfen, als der Regen plötzlich kalt wurde und auf das augustheiße Land herunterprasselte. Es war, als schwelte die ganze Welt.
Dann ließ der Regen nach. Bisher hatte es noch nicht viel gedonnert und geblitzt, doch jetzt brach es mit einem dröhnenden Knall los, der sich in einer wahren Kanonade fortsetzte. Blitze zuckten wie Stichflammen aus einer ganzen Batterie Schnellfeuergewehre über dem Haus, und die Donnerschläge folgten so rasch aufeinander, daß man nicht sagen konnte, welches Krachen auf welchen Blitzschlag folgte. Es war ohrenbetäubend. Die Jungen taten so, als unterhielten sie sich miteinander, bewegten ihre Münder und formten Worte, während das donnernde Krachen alle anderen Geräusche übertönte.
Als der Regen von neuem dichter zu strömen begann, und der Wind noch heftiger fauchte, verstummten die beiden Jungen und blickten hinaus auf die bucklige Teerstraße, über die der Sturm unablässig die grauen Regenmassen peitschte. Mr. Duchamps trank derweilen in aller Seelenruhe sein Frühstücksbier und starrte geistesabwesend hinaus ins Gewitter. Als der Regen wieder nachließ und der Donner schwächer wurde, die einzelnen Schläge nicht mehr so rasch aufeinander folgten, holte Robert tief Atem, so, als hätte er in den letzten Minuten die Luft nur genippt. Das Gewitter war aufregend gewesen, und er fand es schade, daß es vorbei war. Der Dampf löste sich auf, als das Land abkühlte, und es schien wieder heller zu werden. Draußen radelte der Zeitungsjunge vorbei und warf die Nachmittagszeitung ins Gras des Vorgartens. Mr. Duchamps fluchte und leerte die Bierdose.
»Der kleine Scheißer«, schimpfte er. »Schmeißt sie direkt ins nasse Gras.«
Er zog die Fliegengittertür auf und stampfte mit schweren Schritten über die vordere Veranda in den regennassen Garten hinaus. Und es war, als hätten die Regengötter nur darauf gewartet, daß Bart Duchamps unter dem schützenden Dach seines Hauses hervortrat, als hätten sie nur darauf gewartet, daß sein knolliger kahler Schädel und seine bulligen runden Schultern sich im Vorgarten zeigten, der zwar zu beiden Seiten von ausladenden Ulmen flankiert, im Mittelteil jedoch den Launen des Himmels preisgegeben war. Mr. Duchamps hatte sich gerade mit großer Anstrengung gebückt, um die gefaltete Zeitung aus dem nassen Gras aufzuheben, als ein gewaltiges Trommeln und Prasseln anhob,
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