Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
Vom Netzwerk:
Douglas stand da, und sein Kopf ging unablässig hin und her, während die alte Frau vom Schrank zum Tisch wanderte, um Teller und Gabeln aufzulegen. Auch er versuchte, ein Wort anzubringen. Als sie sich zum Küchenschrank hinunterbeugte, wollte er sich eben eine Pause in ihrem Monolog zunutze machen, doch er hatte Charles’ Namen noch nicht ausgesprochen, da richtete sich Mrs. Stumway auf und zog mit einem Schwung etwas Langes und Blitzendes aus der Schublade. Sie wirbelte herum, in der Hand ein riesiges Messer, das so lang wie ihr Arm zu sein schien.
    »Ha!« stieß sie hervor und schwenkte das Messer durch die Luft.
    »Charles!« schrie Douglas unwillkürlich, fuhr stolpernd zurück und stieß mit Charles zusammen, der ebenfalls zurückwich.
    Über die lange blitzende Klinge hinweg blickte die alte Frau auf die beiden Jungen und grinste, so daß ihre künstlichen Zähne wie eine Reihe von Totenschädeln blitzten.
    »Hab’ ich euch erschreckt?« fragte sie. »Das Messer ist von den Philippinen. Mein jüngster Bruder Adam hat es mitgebracht. Er hat dort gegen die Moros gekämpft. Ein Bolomesser nennt man so was.« Sie schwenkte es wieder hin und her, aber weniger kriegerisch diesmal.
    »Und zum Zerschneiden von Melonen ist es bestens geeignet«, fuhr sie fort, während sie zum Holzbrett ging. Sie hob das lange Messer in beiden Händen und ließ es mit Wucht durch die Mitte der Melone sausen, so daß es im Holzbrett steckenblieb. »Das verdammte Messer. Ich hab’ schon ewig keine Melone mehr gegessen.« Sie konnte das Messer nicht aus dem Brett herausziehen.
    Charles trat zu ihr, löste die lange Klinge mit einiger Mühe aus dem Brett und reichte es der alten Frau zurück. Sie schnitt Melonenringe für alle drei auf, und sie setzten sich an den emaillierten Tisch und aßen sie mit alten eisernen Gabeln, die schwarze Holzgriffe und lange Zinken hatten. Die alte Frau musterte Charles ganz unverhohlen, während sie aßen, erkundigte sich nach seinem Zuhause, seinen Eltern, ob er zur Schule ginge. Charles bemühte sich nach Kräften, einen guten Eindruck zu machen und ihr nach dem Munde zu reden.
    »Meine Eltern hab’ ich nie gekannt, Madame«, erklärte Charles und machte ein Gesicht, als wollte er gleich zu weinen anfangen. »Ich hab’ bei meinem Onkel gelebt, und da mußte ich jeden Tag bis neun Uhr abends in seinem Laden arbeiten, und samstags mußte ich immer aufkehren und die Böden schrubben und die Fenster putzen.«
    Douglas starrte Charles verblüfft an. Diese Version vom Leben des anderen Jungen hatte er nie gehört, und er wußte jetzt nicht mehr, ob er ihm überhaupt noch etwas glauben sollte, ob er über die Leichtigkeit, mit der Charles flunkerte, verärgert oder entzückt sein sollte. Mrs. Stumway nickte mit dem Kopf in der Fliegermütze und schnalzte bei passenden Stellen in dem Bericht mißbilligend mit der Zunge.
    »Du bist also davongelaufen, als es daranging, mehr zu arbeiten?« bemerkte sie, und verwunderte Charles damit, der gemeint hatte, ihre Billigung zu finden.
    »Es war aber auch wirklich schlimm, Madame«, erwiderte er, nicht wissend, welche Richtung er einschlagen sollte. »Und manchmal hat er mich mit dem Lederriemen geschlagen.«
    »Es gibt Jungen, die das brauchen«, meinte sie und lächelte Charles, der sich seiner Sache jetzt gar nicht mehr so sicher war, mit ihren regelmäßigen falschen Zähnen an.
    »Charles möchte in die Schule gehen und Lesen und Schreiben lernen, Mrs. Stumway, aber er hat keine Unterkunft«, erklärte Douglas mit einem Unterton von Verzweiflung in der Stimme. »Er hat sich bis jetzt in unserem Stall versteckt, aber wenn mein Vater dahinterkommt, kann er nicht bleiben.«
    »Vielleicht könnte dein Vater beim Heuen einen zusätzlichen Arbeiter gebrauchen, Douglas«, versetzte die alte Frau und spie einen Strom von Melonenkernen auf ihren Teller.
    »Aber Charles hat gesagt, daß er nicht –«
    »Daß er nicht arbeiten will, wie?« unterbrach die alte Frau. »Na, das wundert mich nicht.«
    »Moment mal«, schaltete sich Charles ein. »Ich bin bestimmt nicht arbeitsscheu. Da, wo ich herkomme, hab’ ich geschuftet wie ein Gaul. Aber ich möcht’ nicht, daß Douglas wegen mir mit seinen Leuten Verdruß bekommt. Er ist mir wirklich ein guter Freund. Ich dachte, Sie könnten hier vielleicht jemanden brauchen, der draußen ein bißchen Ordnung macht, das alte Holz von der Auffahrt räumt und so.«
    »Oh, du kannst gern hierbleiben und zur Schule gehen, Charles

Weitere Kostenlose Bücher