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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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zusammengekniffenen Augen, als sähe er schlecht, die strichdünne Oberlippe, die schwammigen Wangen. Sie fragte sich, was aus dem Mann geworden war, den sie damals, als sie gerade achtzehn gewesen war, geheiratet hatte, aus dem hochgewachsenen, draufgängerischen jungen Mann mit dem originellen Humor, der sie damals mit so himmelstürmender Leidenschaft geliebt hatte. Doch wie schnell, dachte sie, war das alles verflogen, wie schnell war seine Heiterkeit erloschen, als die ersten Schwierigkeiten auftauchten, die Depression kam, er eine Zeitlang arbeitslos wurde. Und er hatte selbst noch zu seiner eigenen Zerstörung beigetragen. Manchmal tat er ihr leid, doch in der letzten Zeit hatte sie eigentlich nur noch das Gefühl, daß er wahnsinnig war, ein hoffnungsloser Fall. Nur allzu lebhaft erinnerte sie sich, wie oft er sie allein in den letzten vier Tagen geschlagen hatte, und mit Abscheu erinnerte sie sich der Zeiten, wo er ihr seinen Körper aufgezwungen hatte.
    Sie blickte ihm direkt in die Augen.
    »Lieber würde ich mit dem gemeinsten indianischen Schafhirten zusammenleben«, sagte sie leise und mit der Absicht, ihn so tief wie möglich zu verletzen.
    »Ich möchte wirklich, daß du zu mir zurückkehrst, Renee. Wir werden eine neue Welt aufbauen, vielleicht nach Deutschland gehen, um dort gemeinsam mit unseren Brüdern in den Kampf zu ziehen. Ich brauche dich an meiner Seite.«
    Hilflos sah er aus, wie er da vor ihr stand und um ihre Liebe bettelte, wie früher so oft, nachdem er die schlimmsten Dinge getan hatte, eine Woche lang von früh bis abend getrunken hatte, ihr ganzes Geld ausgegeben hatte, die Rechnungen nicht bezahlt, sie solange belogen hatte, bis der Gerichtsvollzieher gekommen war. Und vielleicht, argwöhnte sie, obwohl keiner der beiden Männer je darüber gesprochen hatte, vielleicht hatte er auch versucht, Barry umzubringen, indem er das Auto auf den Bahnübergang gefahren hatte. Sie konnte nicht verstehen, daß es ihm so völlig an Selbsterkenntnis mangelte. Wie konnte ein Mensch sich selbst gegenüber so blind sein? Sie fühlte sich ohnmächtig in ihrem Bemühen, eine Möglichkeit zu finden, zu ihm durchzudringen, und sie gab es auf, ihn verletzen zu wollen. Sie brachte es nicht über sich, ihm einfach ins Gesicht zu schlagen. Außerdem brachte er sich selbst schon genug Wunden bei.
    Sie wandte den Blick von ihm ab.
    »Versprich mir nur, daß du mir nicht davonläufst«, sagte er und versuchte, ihr ins Gesicht zu sehen. »Du brauchst mich ja nicht gleich zu lieben«, beschwor er sie.
    »Ich liebe Barry«, versetzte sie, ohne ihn anzusehen.
    »Diesen schlappschwänzigen Judenbubi kannst du doch nicht lieben«, entgegnete Bill mit einem Unterton wütender Gehässigkeit.
    »Falls es dich interessieren sollte, er ist kein Jude, und wenn du ihn für schlappschwänzig hältst, warum bist du dann nicht zu uns ins Haus gekommen, als er da war?«
    »Zwischen uns wird bestimmt alles wieder besser«, versicherte Bill. »Fahr nur mit mir nach New York zu der Versammlung. Da wirst du schon sehen, wie großartig es sein kann, beim Aufbau einer neuen Zivilisation zu helfen, ganz von vorn anzufangen und endlich die minderwertigen Subjekte und die Blutsauger davonzujagen, die unser Land ruinieren. Das ist nämlich unser Ziel, wir wollen eine reine Gesellschaft schaffen, wo alle Menschen unserer Rasse in Glück und Frieden leben können.«
    »Wenn sich mir eine Chance bietet, Bill, werde ich fliehen«, sagte sie.
    »Renee, ich gehe vor dir auf die Knie, wenn du es möchtest. Weißt du noch, wie ich vor dir niedergekniet bin, als ich dir meinen Heiratsantrag machte?«
    Ja, sie erinnerte sich daran. Draußen auf dem Parkplatz vor der Spelunke war es gewesen, wo man damals trotz des Alkoholverbots etwas zu Trinken bekam. Sie waren beide beschwipst gewesen vom Gin, und Bill Hegel in seinem geliehenen Smoking hatte sich auf den Kies des Parkplatzes niedergekniet und die Hände aneinandergelegt, wie zum Gebet, während er schmachtend zu ihr aufgeblickt hatte. Und sie hatte das alberne rote Kleid mit dem zipfeligen Rock angehabt, über das Mutter so gelacht hatte. Ja, sie erinnerte sich. Doch die Erinnerung weckte keine Gefühle mehr. Zu weit zurück lag dieser Tag, zu tief verschüttet unter Schlägen und Lügen und liebloser Kälte und zahllosen Zurückweisungen. All die Zauberkraft, die jener Moment einst besessen hatte, war verpufft, wenn überhaupt mehr daran gewesen war, als pubertäre Sentimentalität.
    »Es hat

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