Werwelt 02 - Der Gefangene
ihre Lügen aufgezwungen haben. Dann, meine Freunde, werden wir wissen, was zu tun ist; dann, wenn der Führer sich in heiligem Zorn erhebt und uns mit dem Schwert seiner Macht den rechten Weg zeigt.«
Er hielt inne und blickte an der Reihe der Männer entlang, die, während er in Haß zu erglühen begann, allmählich unter den Bann seiner Rede gerieten.
»Wollt ihr wissen, warum dieses Land aus dem Abgrund der Depression nicht herausfindet? Wollt ihr wissen, warum all die scheinbaren Reformen in diesem Lande rot angehaucht sind? Wollt ihr wissen, warum die sogenannte Unterstützung, die unsere Regierung uns gibt, uns doch nicht wieder auf die Beine hilft? Ich werde es euch sagen. Kennt ihr den Mann, der im Weißen Haus in Washington sitzt, diesen Franklin D. Rosenfeldt? Ja, so lautet sein richtiger Name. Er ist ein Jude! Kennt ihr seinen ›Gehirntrust‹, seine Berater, den Juden Brandeis, den Juden Morgenthau, den Juden Frankfurter, den Juden Lehmann? Er nennt sein Wirtschaftsprogramm den ›New Deal‹. Ich würde es bei seinem richtigen Namen nennen, ›Jew Deal‹!«
Er machte eine Pause, während gedämpftes Gelächter durch die Reihe der Männer lief, die jetzt aufmerksamer zuhörten.
»Und dieser Mann wurde letztes Jahr wiedergewählt! Man hat uns auf schimpfliche Weise belogen und betrogen, liebe Landsleute, auf schimpfliche Weise belogen und betrogen! Von Funk und Presse, die fest in jüdischer Hand sind, sind wir verraten worden; wir sind eingelullt worden von den wülstigen Perversitäten der Juden in Hollywood, die uns schmutzige Filme vorsetzen, um uns blind zu machen für die jüdische Hand, die uns dauernd in die Taschen greift. Meine Freunde, immer steckt ein Jude dahinter, wenn ihr euch eures Geldes beraubt seht, wenn eure Steuern erhöht werden, wenn die Preise steigen und die Löhne nicht mitziehen, wenn euch eure Arbeitsstelle genommen wird. Die Juden sind dieser Krebs, der unser Land von innen heraus auffrißt, und es ist unsere Pflicht, diese Krebsgeschwulst auszubrennen, bevor wir allesamt unserem Heimatland von der internationalen Verschwörung der Juden vernichtet werden!«
Seine Stimme war so angeschwollen, daß er die letzte Beschimpfung wie einen Trompetenstoß herausschmetterte. Renee wandte sich ab, doch sie konnte ihn immer noch hören, wie er da draußen herumschrie, von nordischer Reinheit, Rassenschändung und Verschwörung, sie hörte die gellenden Schimpfworte für die Mexikaner und für die Neger, die nicht nur als Untermenschen, sondern als triebhafte Tiere geschildert wurden.
Plötzlich sah sie ihre Tochter, die da am Fenster stand und zuhörte, ohne viel zu verstehen vielleicht, aber immerhin genug, um die Stimme des Hasses zu erkennen.
»Jetzt, wo sie alle draußen sind und blödes Zeug reden, könnten wir doch hier drinnen ein Spiel machen«, meinte Renee.
Mina war sofort dabei. »Was wollen wir spielen?«
»Mutter und Kind«, erwiderte Renee. »Das hier ist dein Haus, und du bist die Mutter, und ich bin das Kind.« Sie war beinahe zu Tränen gerührt, als sie sah, wie die Augen des Kindes aufleuchteten. Sie spielten eine lange Zeit, ehe einige von den Männern hereinkamen und anfingen, sie wieder herumzukommandieren.
Seit dem Tag, an dem Mina davongelaufen war, durften sie und ihre Mutter keine Waldspaziergänge mehr machen. Selbst das Klosetthäuschen durften sie nur unter strenger Bewachung aufsuchen, und auf die Veranda durften sie nur hinaus, wenn ein Wachtposten da war, der sie ständig im Auge behielt. Sie kauerten jetzt am Geländer der Veranda und versuchten, mit kleinen Brotstückchen ein Eichhörnchen anzulocken, während außer ihrem gelangweilten Wächter alle Männer sich hinter der Hütte im Schießen übten. Das Krachen der Schüsse kam sporadisch, und obwohl es mehr als hundert Meter entfernt war, schüchterte es das Eichhörnchen so ein, daß es sich nicht auf die Veranda wagte.
Renee kniete oben auf der Treppe und versuchte, das kleine Tier auf die unterste Stufe zu locken. Mina war in die Hütte gegangen, um noch ein Stück Brot zu holen, und der Wächter lümmelte rauchend an einem der Autos herum. Plötzlich bewegte sich etwas an der Hausecke, und das Eichhörnchen sprang davon und flitzte den nächsten Fichtenstamm hinauf. Auf halbem Weg machte es halt, um auf den Mann hinunterzublicken, der die Ruhe vor der Veranda gestört hatte. Er hielt ein Gewehr in der Hand und blickte Renee mit grimmiger Miene an.
»Wieso bist du nicht drin und
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