Werwelt 02 - Der Gefangene
hingelegt hatte, doch statt selbst ins Schlafzimmer zu gehen, wanderte er in die Küche, holte sich eine Flasche Milch aus dem Kühlschrank und setzte sich im Dunkeln nieder. Während er die kühle Milch aus der Flasche trank, grübelte er über die Zukunft. Es reichte nicht, daß er die Stellung beim Journal angenommen hatte und Geschichten an die Verlage der Billigheftchen schickte. Wenn nur die Leute vom Esquire endlich auf seinen Entwurf für einen Bericht über die Indianer reagieren würden, den er ihnen zugesandt hatte – aber er war eben ein Unbekannter. Ganz gleich, was sich an dieser Front tat, er würde noch vor Ende des Monats ein weiteres Darlehen aufnehmen müssen, wie er es nannte, da die Schecks für die Besprechungen, die er gemacht hatte, frühestens in zwei Wochen eingehen würden, und das restliche Geld hinten und vorn nicht reichte. Da saß er nun, dachte er distanziert von sich selbst, eine beinahe komische Figur, noch kein Jahr auf der Welt, und spielte sich als Schriftsteller auf, ja, konnte sogar schon einige Erfolge verzeichnen, hauptsächlich dank verzweifelter Bemühungen und erbarmungslos harter Arbeit.
Er lauschte dem Quaken der Frösche am Ufer des Bewässerungsgrabens und dem Raunen des Nachtwinds, der über der Nische des Küchenfensters die Zweige der Balsampappel gegen die Hausmauer drückte. Das Haus war still und alt und immer kühl. Es war nicht die muffige Kühle eines Kellers oder unterirdischen Raumes, sondern die natürliche, reine Kühle, die immer in einem aus luftgetrockneten Ziegeln erbauten Haus wohnt, selbst im heißesten Sommer. Ich fühle mich hier so zu Hause, dachte er, es ist beinahe so, als hätte ich schon früher hier gelebt. Lügen, Lügen, nichts als Lügen, und immer wieder Sorge um das Geld. Das beste wäre es, ich würde einfach losziehen und eine Bank ausrauben und fertig.
Er griff wieder zur Milchflasche, und als er sie zum Mund hob, hörte er einen leichten Schritt im Flur. Ohne hinzusehen wußte er, daß Renee dort unter der dunklen Küchentür stand.
»Du trinkst ja schon wieder aus der Flasche«, sagte sie leise und huschte herein, um sich zu ihm zu setzen. »Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
»Keine Ahnung.«
»Barry, bitte trink nicht aus der Flasche.«
»Ich mach sie doch sowieso leer.«
»Das spielt keine Rolle. Wenn Mina das sähe! Wäre es dir etwa recht, wenn deine Tochter vor allen Leuten aus der Flasche trinkt?«
Er stellte die Flasche aufs Küchenbüfett und ließ zischend einen langen Atemstoß heraus.
Sein Bauch fühlte sich aufgebläht von der Milch, die er praktisch in einem Zug hinuntergetrunken hatte.
»Puh, das war das Frühstück«, sagte er.
»Ja, das war die letzte Flasche Milch.«
»Ach Unsinn, da steht doch noch welche drin.«
»Wir brauchen sie sowieso nicht.« Sie legte ihre Arme um seinen Hals und lehnte sich an ihn. »Warum stehst du nachts immer auf?«
»Der alte Grund. Ich kann nicht schlafen, weil ich mir dauernd den Kopf darüber zerbreche, wie ich die Wölfe abwehren soll, was ich als nächstes versuchen soll, nun, die üblichen Sorgen eines Ehemannes eben.«
»Aber manchmal bin ich aufgewacht, und du warst nicht mal im Haus«, bemerkte sie. Sie bemühte sich, gelassen zu wirken, doch ihre Stimme klang ein klein wenig gespannt. Was, um alles in der Welt, fragte sie sich, konnte ihr Mann des Nachts treiben, wenn er nicht in der Küche saß und Milch trank.
»Manchmal lauf ich ein Stück den Graben hinauf«, erklärte er ganz ruhig, ja, beinahe unbeteiligt.
Ausreden gab es immer, und sein Gewissen war rein, vielleicht zu rein. Es plagte ihn so wenig, daß er nicht einmal die Gefühle seiner Frau in diesem Augenblick verstehen konnte. Was er des Nachts tat, schien nicht wichtig, denn er wußte, daß seine nächtlichen Wanderungen über die Mesa in jener anderen Gestalt im wesentlichen harmlos waren. Das Problem seiner Zwiegestalt war immer da, war so alt wie er selbst war, stellte sich so häufig und erledigte sich so leicht, denn wer hätte ihm die Wahrheit geglaubt, wenn er ganz ernsthaft erklärt hätte: »Ich bin halb Tier, eine Art Werwolf, weißt du, und nachts, wenn der Mond scheint, treibt es mich einfach raus.« Das war überhaupt nicht komisch, dachte er. Doch während der meisten dieser nächtlichen Ausflüge hatte er geschlafen, nur eine vage, traumhafte Erinnerung zurückbehalten, und hatte daher ein reines Gewissen.
»Du hörst mir ja gar nicht zu, Barry«, sagte die Frau, deren
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