Werwelt 02 - Der Gefangene
leise, daß er ihre Stimme kaum hörte.
»Du solltest das wirklich vergessen, Liebes«, erwiderte Barry. Voller Unbehagen wandte er den Kopf ab. Es war beinahe so, als hätte man eine geheime Krankheit oder wäre ein gesuchter Verbrecher. Er beugte sich über sie, um sich seinen Gutenachtkuß zu holen.
Sie küßte ihn, dann sah sie mit blitzenden Augen zu ihm auf. »Läufst du auch so gerne nachts draußen herum, wie ich?« fragte sie.
Es gelang Barry, ruhig zu bleiben. Da trieb ihn doch tatsächlich ein siebenjähriges Kind in die Enge.
»Mina, Schluß jetzt mit deinem Geplapper, schlaf. Vielleicht träumst du was Schönes. Ich möcht über solche Dinge nicht sprechen.«
Er merkte, daß seine Stimme viel strenger klang, als das seine Absicht war, und augenblicklich tat es ihm leid. Minas Kopf war unter der Decke verschwunden. Er schaltete das Licht aus und ging hinaus.
»Papa?«
»Ja, Kleines?«
»Nur noch ein Bussi?«
»Aber natürlich.« Sie konnte ihn wirklich um den kleinen Finger wickeln, dachte er.
»Und ein Glas Wasser und eine Scheibe Brot ohne Rinde.«
Eine halbe Stunde später saßen er und Renee bei einer letzten Tasse Kaffee in der dämmerigen Küche. Das gellende Quaken der Frösche am Graben machte die Nacht hörbar, und ein kühlender Wind streichelte die Haut so sachte, wie ein zarter, schwebender Schleier. Der Duft des Oleanders wurde kurze Zeit stark und betäubend und verging, als der leichte Wind sich legte. Barry war einen Moment lang in Gedanken versunken. Nie hatte er sich vorgestellt, daß das Leben so vollkommen sein könnte. Er spürte, wie in ihm eine glückliche Gelöstheit wuchs, und blickte auf, als Renee ihm einen Arm um seinen Hals legte.
»Du bekommst den Auftrag vom Esquire«, sagte sie. »Ich weiß es, das sagt mir meine weibliche Intuition.«
»Und dann leben wir wie die Fürsten.«
»Dann schöpfen wir aus dem vollen«, sagte sie und legte ihren Kopf auf seine Schulter.
»Aus meinem vollen Kopf, ja«, erwiderte er, seinen Arm jetzt um ihre Mitte, während er von einem tiefen Glücksgefühl erfaßt wurde.
»Am Reichtum liegt mir gar nichts«, erklärte sie, während ihre Hand unter sein Hemd glitt, und sie zart seinen Bauch kraulte. »Ich möchte nur, daß wir glücklich sind und du dir keine Sorgen machst.« Sie kniff ihn leicht in den Magen, so daß er zusammenfuhr. »Versprich mir, daß du dir wegen des Geldes kein Kopfzerbrechen mehr machst.«
»Ich kann dir nichts als Liebe versprechen, Baby«, versetzte er und zog sie von ihrem Stuhl auf seinen Schoß.
Es war das erste Mal, daß er sie ins Schlafzimmer hinauftrug, seit sie das Haus gekauft hatten.
Barry ist nicht erfreut, daß ich diese Nacht wähle, um auf Wanderschaft zu gehen, doch er schläft tief und fest nach dem Liebesakt mit der Frau, den zu teilen ich natürlich das Vergnügen habe, ohne mich in ihre Gedanken einzudrängen. Die Umarmung ist ein intensives und besinnungsloses Verschmelzen zweier Persönlichkeiten, an dem ich teilhabe, während ich es aus der Ferne beobachte. Sie ist ein wichtiges Ritual für die beiden, nicht allein zur Zeugung von Jungen und nicht allein zur Befriedigung der körperlichen Lust, die ich das erste Mal vor einem Jahr in meiner natürlichen Gestalt entdeckte. Sie ist mehr als das, muß aber auch das sein. Die Umarmung enthält für sie ein Gefühl, das ich nicht ganz teilen kann, etwas, das sie über die Erregung des Fleisches hinaus miteinander verbindet. Das ist es, was mir Unbehagen einflößt und in mir das heftige Bedürfnis nach ausgreifender Bewegung auslöst. Vielleicht wenn es noch ein Wesen wie mich gäbe; warum aber ist dann das Gebot der Einsamkeit so streng? Ich habe diese Fragen nie zuvor gestellt, weil sie für mich keinen Sinn zu haben scheinen, doch seit ich ein Stück meines Lebens mit dem kleinen Mädchen teile, hat sich etwas in mir verändert.
In meiner natürlichen Gestalt wandere ich durch das Haus und erkenne all die Geschöpfe rundum mit meinem Raumsinn, der mich mit einem kunstvoll geschlungenen Netz von Wellen umgibt. Es ist beinahe, als befände man sich unter Wasser und empfinge die Schwingungen der Fische und Kriechtiere, nur ist dieser Vorgang in der Luft, wo jedes lebende Wesen in seinem eigenen Gespinst von Schwingungen eingewoben ist, soviel unaufdringlicher und zarter. Ganz anders als der primitive, warme Sinn der Schlange oder der Druck der Schallwellen, vermittelt der Raumsinn eine Sinneswahrnehmung, die nicht auf ein Organ meines
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