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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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viel gearbeitet.
    ›Aber jetzt ufert mein Brief wirklich aus! Ich werde wahrscheinlich so wie die Bäuerinnen, über die Mutter immer gelacht hat, die wochenlang keine Menschenseele sehen und dann dem nächsten Hausierer, der vorbeikommt, ihre ganze Lebensgeschichte erzählen. Ich muß einfach mehr unter Leute. Du weißt ja, das war immer meine Schwäche, darauf zu warten, daß die Dinge von selbst geschehen und die Leute zu mir kommen, anstatt selbst etwas zu unternehmen und mein eigenes Leben zu gestalten. Ich möchte so gern wissen, wie es Euch allen geht und ob ihr nicht irgendwann mal zu uns kommen könnt. Die Zugfahrt mit dem Santa Fe hierher soll ein großartiges Erlebnis sein und gar nicht so teuer. Und Platz haben wir hier für Euch genug. Sag Walter einfach, daß Deine kleine Schwester in terra incognita (habe ich das richtig geschrieben?) vor Heimweh umkommt und dringend Deine Hilfe braucht. Ihr fehlt uns wirklich, Du und Anne und Walter. Sag Mutter, daß es uns gutgeht, und erzähl ihr nichts von meinen jämmerlichen Klagen. Grüße sie und Walter und Anne von mir, ich hab Euch alle schrecklich lieb und denke viel an Euch.
    ›Alles Liebe von Mina und Barry und mir und von Minas neuestem Haustier, einer ganz gräßlichen Kröte.
    ›Deine Schwester Renee.‹

    Sie spürte den Schlag seines Herzens, der nach ihrer leidenschaftlichen Umarmung allmählich langsamer wurde, und sie drückte ihr Ohr an seine Brust, um zu lauschen, wie die Doppelschläge gleichmäßiger und kräftiger wurden, langsam in die Tiefen seines Körpers zurückzusinken schienen, als er sich entspannte. Seine Hand lag auf ihrem Rücken. Die Finger bewegten sich leise, wie immer, wenn er im Einschlafen war, so als spielte er auf einem unsichtbaren Klavier, dessen Töne nur er hören konnte; als trüge die Musik seinen Geist fort und bereite so den Träumen eine grenzenlose Tanzfläche, wo sie sich wiegten und ihre Spiegelbilder betrachteten, während sie über die glänzende glatte Fläche dahinzuschweben schienen, zwei Vögel, zwei Libellen über dem warmen, stillen Spiegel des Wassers. Ein Zucken ging durch ihren Körper. Sie wurde gewahr, daß sie in einen Traum hineingeglitten war, doch sie wollte noch nicht schlafen, sondern die Liebe auskosten, die Ganzheit, zu der sie in solchen Momenten fanden.
    Sie legte ihr Gesicht neben seiner Schulter auf das Kissen, lauschte einen Augenblick seinen regelmäßigen Atemzügen. Ja, er war wirklich eingeschlafen. Seine Hand auf ihrem Rücken wurde still und lag offen und entspannt wie ein schlafendes Tier auf ihrem Körper. Tief in ihrem Inneren fühlte sie, daß sie ihn liebte, wirklich und wahrhaftig liebte. Und plötzlich sprangen ihr Tränen in die Augen wie Blumen aus der geliebten, glücklichtraurigen Erde, die innerhalb eines Augenblicks erblühten, und sie spürte, wie beide Augen ihr überquollen. Schlaf jetzt nicht, Barry, dachte sie, von dem Verlangen erfüllt, daß er bei ihr bleiben und nicht in seinem verdunkelten Körper davontreiben möge, einem Traum entgegen, an dem sie keinen Anteil hatte.
    Bleib bei mir, Liebster. Das hatte er selbst einmal gesagt – wielange war es her? Ein Jahr? War es wirklich ein Jahr? Soviel war danach geschehen, all diese entsetzlichen Szenen mit Bill. Bis Barry dann auf geheimnisvolle Weise zurückgekehrt war. In jener Nacht, als sie nur noch immerwährende schwarze Trostlosigkeit gesehen hatte und wußte, daß sie bis an ihr Lebensende eine verschlossene, eisern beherrschte Frau würde sein müssen, weil nichts sich ändern würde, weil sie nun nichts mehr zu erwarten hatte als Bills düstere, anklagende Blicke, jedesmal wenn sie ihn ansah.
    Warum ging ihr das gerade jetzt durch den Kopf, wo sie endlich glücklich war und sich geliebt und sicher wußte? Sie hielt den Atem an, als sie von draußen ein schwaches Geräusch hörte. Mina? Sie hob den Kopf vom Kissen und lauschte, strich sich das Haar hinter die Ohren. Nichts. Doch, warte, da tappte jemand über den Küchenboden. Sie konnte das leise Aufklatschen der bloßen Füße hören, als sie über das Linoleum gingen. Sachte löste sie sich von Barry, hob seinen Arm und legte ihn auf seine Brust hinüber. Das konnte nur Mina sein, aber was, um alles in der Welt, trieb sie mitten in der Nacht in der Küche? Sie nahm den Wecker und hob ihn zum monderleuchteten Fenster; beinahe halb zwei Uhr morgens. Sie hob ihr Nachthemd vom Boden auf und schlüpfte hinein, dann huschte sie in den Flur hinaus.
    Mina

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