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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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Körpers, wie Ohren oder Augen beschränkt ist. Eher ist er ein Hautsinn, dessen Aufnahmefähigkeit sich über die ganze äußere Hülle meines Körpers erstreckt. Als wäre ich eine feinnervige Spinne im Zentrum eines dreidimensionalen Netzes, nehme ich jede Kräuselung wahr, während ich leise zur Tür schleiche und sie aufstoße, um in den hellen Schein des Vollmonds hinauszutreten. Lautlos laufe ich durch den Garten, setze mit einem Sprung über den Graben und trabe am Zaun entlang zum Fluß. Heute nacht zieht es mich nicht zur hochgelegenen Mesa, lieber will ich auf dem Grund des Flusses unter den Weiden auf die Pirsch gehen, um vielleicht ein verlorenes Zicklein oder Lamm aufzuspüren. Ein Gefühl düsterer Vorahnung plagt mich, so als wollte über mir gleich ein Gewitter losbrechen. Es macht mir die Haut prickeln, und meine Nase wittert nach dem knisternden Ozon, der alle Gerüche intensiviert, während die Natur auf die gewaltige Entladung von Energie wartet, die mich mit erregendem Schauder erfüllt, während die Blitze mit blendender Kraft in die Erde einschlagen. Doch die Nacht ist ruhig, wolkenlos, kühlt in den Stunden vor Tagesanbruch angenehm ab. Der Fluß, eine dunkle Linie, die aufblitzt, wenn das Mondlicht auf sie fällt, schlängelt sich zwischen niedrigen Sandbänken auf dem Grund des Flußbetts hindurch.
    Eine Gruppe von Schafen drängt sich auf der Weide zu meiner Linken, doch merkwürdigerweise kann ich kein sonderliches Interesse für sie aufbringen. Ich bin nicht hungrig, obwohl ich meinte, ich würde es in dieser Nacht sein. Das Gefühl der Spannung weht aus den kommenden Tagen herüber, als erinnerte ich mich an etwas, das noch nicht geschehen ist, irgendeine Gefahr. Im Schatten der hohen Uferböschung schleiche ich lautlos vorwärts, meinen Geruch verbergend. Am Morgen werden nur noch die großen, langen Abdrücke da sein, um den Hirten zu verwirren und zu ängstigen. Ein Weilchen halte ich inne, um nach Hunden oder Menschen zu spüren. Es sind keine da. Verwunderlich. Ich schleiche mich an den Schafen vorbei, von denen einige bereits geschoren sind und in ihrer weißen Sommerunterwäsche recht mickrig aussehen. Einem, zweien von den rundlicheren gebe ich einen sanften Klaps aufs Hinterteil, so daß sie erschrocken hochfahren, aber nicht zu blöken anfangen, sondern nur im Schlaf ein bißchen schnauben und wimmern. Nein, ich bin wirklich nicht hungrig.
    Ich gleite zum Fluß hinunter und nehme einen tiefen, langen Schluck von dem schlammigen Wasser. Es gäbe auch sauberes Wasser hier in der Gegend, aber Flußwasser hat einen besonderen Reiz, es schmeckt nicht nur nach Schlamm und Schafskot und Abfällen, sondern es enthält die Würze all jener Orte und Gegenden, wo der Fluß gewesen ist: Weißschäumendes Wasser und braunes, brodelnder Wasserfall und träger Mäander, alles ist da. Wir könnten einfach loslaufen und den Windungen dieses Flusses folgen, quer durch die Indianerreservate, an Santa Fe vorbei in die blauen Berge bei Taos, durch die Canyons und über die Lavafelder, bis hinauf nach Colorado. Wie romantisch wir heute nacht sind! Und da wird mir plötzlich klar, was los ist. Das Pronomen, das ich im Plural gebrauche, sagt es mir, das ›wir‹. Ich bin einsam.
    Ich komme mir albern vor und fühle mich innerlich zerrissen. Hat mir die Gesellschaft der kleinen Mina neulich nacht wirklich so gut getan, daß ich mir wünsche, sie möge mich wieder auf meinen nächtlichen Streifzügen begleiten? Wenn ich einen Schwanz hätte, dann würde ich ihn jetzt in zornigem Zucken hin und her bewegen. Flüchtig überkommt mich die Lust, irgendein Lebewesen zu töten, nur zum Trotz. Aber das ist nicht das richtige für heute nacht. Mir steht der Sinn überhaupt nicht nach Blut und Gekröse. Werde ich langsam zum menschlichen Wesen? Ein abscheulicher Gedanke.
    Ich wirble herum und hetze die steile Uferböschung hinauf, springe direkt in den herabstürzenden Sand, werde erfaßt von einer Lawine von Schwemmsand, der sich in großen Schollen über mir löst. Ich habe mir den falschen Ort ausgewählt, die Böschung zu erklimmen, einen tiefen Sandhaufen, der mehr als dreißig Meter in die Höhe ragt, aber ich gebe nicht auf. Zu noch härterer Anstrengung zwinge ich meine Muskeln, während der Sand in nicht versiegenden Gießbächen über mich herabstürzt und mich immer tiefer zieht, so verbissen ich auch springe. Und als ich endlich beinahe oben bin, verliere ich wieder den Halt, der ganze Hügelhang

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