Werwelt 03 - Der Nachkomme
kommst dauernd hierher und schaust nach mir und bringst mir dieses Ziegenfutter, das ich essen muß.« Er sah sie an, als sein Schmerz vorübergehend nachließ. Es war, als wollte er unter ihre Haut sehen. »Ich weiß nicht einmal deinen Namen.«
»So ist es schon besser«, meinte sie und lächelte, daß ihr Gesicht förmlich strahlte. Man hätte vielleicht sagen kö n nen, daß mehr noch als ihre Augen ihr Lächeln das Schön s te ihrer sichtbaren Persönlichkeit war. »Ich heiße Lilliam, mit einem › M ‹ am Ende, und die Leute, die mich mögen und die ich auch mag, können mich Lilly nennen.«
Wider Willen mußte Bo grinsen. Ihr Lächeln war so glücklich.
»Ja, also, ich möcht ’ von dir gern wissen, ob dieses Tier, dieses Wesen, mit dem ich einen Pakt geschlossen hab ’ , überhaupt nur in meiner Einbildung existiert? Du weißt schon, was ich meine?«
Es war ihm peinlich, auch nur darüber zu sprechen, doch sie mußte irgendeine Verbindung dazu haben.
»Oh, jetzt hast du Angst, daß du verrückt wirst. Nein, es ist echt. Ich kenne sie sehr gut, und sie will wirklich nur dein Bestes. Sie mag Menschen, weißt du.«
Lilly war vom Bett geglitten und nahm verschiedene Dinge aus einem Beutel, den sie neben der Heizplatte auf den wackligen Holztisch gestellt hatte.
»Sie? Es ist ein weibliches Wesen? Was für ein Wesen ist es? Ich dachte, es wäre ein Löwe, der aus dem Zoo entspru n gen ist, aber ich hab ’ noch nie einen blauen Löwen gesehen, und außerdem schickt es einem Worte in den Kopf.«
»Ich weiß eigentlich nicht viel über sie«, antwortete Li l ly. Mit einer kleinen Tüte in der Hand wandte sie sich Bo zu. »Das schmeckt dir sicher. Es sind Weizenkeime.«
»Hunger hab ’ ich schon, aber nicht auf diesen Kram«, versetzte Bo mit einem Blick auf das Tütchen, das sie ihm gegeben hatte. Er öffnete es und stocherte mit dem Finger in den Körnern herum. »Das sind ja nur Krümel. Wie soll ich denn gesund werden, wenn ich essen muß wie eine Maus?«
»Du wirst gar nicht viel davon essen«, sagte Lilly, wä h rend sie etwas Milch und ein Pulver, das wie Mehl aussah, in einem Töpfchen zusammenrührte.
Bo stand auf und ging zum Tisch hinüber. Er war einen Kopf größer als die Frau und, wenn er auch in den letzten Wochen an die zwanzig Kilo abgenommen hatte, wah r scheinlich immer noch fünfundzwanzig bis dreißig Kilo schwerer als sie. Wie er da so neben ihr stand, während sie weißes Pulver in die Milch rührte, wurden Beschützerin s tinkte in ihm wach, doch er spürte auch, daß eine große Kraft von ihr ausging. Sie war stark. Bo fragte sich, ob wohl bei ihr schon mal jemand versucht hatte, frech zu werden. Womöglich wußte sie irgendeine geheime Technik oder ein Zauberwort, das einen Mann, der das versuchte, vernichten konnte. Sie besaß ein, wie sollte er es nur ne n nen, ein gewisses Etwas, eine Präsenz, als wüßte sie mit solcher Sicherheit, wer sie war, daß niemand und nichts ihr je Schaden antun konnten. Auch ihr Aussehen gefiel ihm, wenn der Schmerz ihm Muße ließ, darüber nachzudenken. Sie war nicht eigentlich hübsch, doch sie war von einer fesselnden Apartheit, wie sie ihm kaum je begegnet war.
»Was ist das jetzt für Zeug?«
»Es ist noch nicht fertig«, erklärte sie und lächelte, als sie sah, wie er vor Widerwillen über den Geruch die Nase hochzog. »Aber es wird Joghurt.«
»Du meine Güte«, sagte Bo. Er stand gern neben ihr.
»Erst muß ich Yoga machen, und jetzt muß ich auch noch Joghurt essen.«
Er lachte kurz auf und wurde durch ein strahlendes L ä cheln von Lilly belohnt.
»Aber du darfst nicht viel davon essen.«
»Ja, ich weiß schon. Wir reden mit meinem Körper, stimmt ’ s?«
»Ja, das ist richtig. Wir senden ihm Botschaften, die er verstehen kann. Keine Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen mehr, kein Kaffee mehr, kein Alkohol mehr, kein Fleisch mehr, insbesondere kein gesalzenes Fleisch.«
Sie schnitt eine Grimasse, die sie, wie Bo mit einiger Überraschung feststellte, nur reizvoller machte.
Er kehrte zum Bett zurück und setzte sich nieder, völlig erschöpft. Aufmerksam beobachtete er die schlanke, zierl i che Frau, während sie sein Essen bereitete und den Joghurt zur Seite stellte, damit die Bakterien ihre Arbeit tun kon n ten. Wenn es ihm nicht so mies ginge, würde er sich ta t sächlich zu Lilly hingezogen fühlen. Er spürte irgendwo in der Tiefe eine schwache Regung der Sinne und lenkte seine Gedanken hastig in eine andere Richtung.
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