Werwolfkind (German Edition)
umsonst gewesen. Professor Cascias magisches Ritual, das sie und Ricardo ausführten, hatten ihnen nur einen Aufschub verschafft.
Nicht einmal zwei Jahre eines unbeschwerten Glücks mit einem normalen Familienleben, Urlauben und Reisen waren ihnen vergönnt gewesen. Jetzt schlug das Schicksal wieder mit aller Härte zu.
Ricardo krümmte sich. Er bog sich zusammen. Einen Moment fürchtete Francesca, er würde ihr an die Kehle springen. Dann richtete er sich auf – und sie sah, dass die schwarze Behaarung bei ihm zurückwich. Die furchtbare Anspannung wich aus seinem Körper.
Die verkrampften Muskeln lockerten sich. Dann saß er da, wieder ganz der Ricardo, wie sie ihn kannte und liebte. Er war blass und in Schweiß gebadet.
Und keuchte: »Die Macht des Vollmonds weicht. Sie geht zurück. Diesmal konnte ich es noch zurückdrängen und überwinden. Doch was beim nächsten Vollmond geschieht, weiß ich nicht.«
Als Francesca ans Fenster ging und durch den Vorhangspalt hinausspähte, sah sie, dass eine Wolke den Mond verdeckte. Hoch oben am Himmel jagten die Wolken, von einem ablandigen Wind getrieben. Wolken und Wolkenfetzen jagten düster und silbrig dahin.
Manchmal riss diese Wolkendecke auf. Marco hatte sich durch das Wiegen in den Armen seiner Mutter beruhigt. Er war nicht aufgewacht, jetzt schlief er wieder ein. Francesca wartete noch eine Weile, um sich zu vergewissern, dass die Krise vorbei war. Dann legte sie Marco in sein Kinderbett zurück und breitete die leichte Steppdecke über ihn.
Sie zeichnete ihrem Sohn ein Kreuz auf die Stirn und küsste ihn.
»Schschsch, Marco. Mama ist bei dir. Es wird alles gut. Schlaf ruhig, mein Kleiner, es ist alles gut.«
Sie dimmte die Lampe schwächer und widmete sich ihrem Kind, dem ihre erste Aufmerksamkeit galt. Die Krise war zunächst einmal gemeistert. Auch Marco sah wieder völlig normal aus in seinem kleinen, mit einem Entchenmuster versehenen Schlafanzug.
Er schlummerte friedlich und lutschte an seinem Daumen.
Francesca sang ihm leise ein Schlaflied. Dann erst, als sie ganz sicher war, dass mit ihrem Kind alles in Ordnung war, wendete sie sich wieder an ihren Mann.
Das Blut an seinem Hemd und an seinen Händen und in seinem Gesicht wirkte im matten Licht schwarz.
Und abermals fragte Francesca: »Was ist geschehen, Ricardo? Sprich, was hast du getan?«
Er schaute sie an. Er befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Dann berichtete er, und während er erzählte, erlebte er in seiner Fantasie alles noch einmal.
Nach den ersten paar Sätzen fragte ihn Francesca, weil sie es gleich wissen wollte: »Hast du jemand getötet?«
Ricardo vermied es, ihr in die Augen zu sehen.
*
Professor Cascias Empfehlung für ein magisches Ritual war gewesen, dass sich Ricardo wenn der Vollmond schien und er sich verwandeln wollte mit einer Jungfrau ins Bett legte. Zwischen ihm und der Jungfrau sollte ein silberner Degen liegen. Den hatte Cascia besorgt.
Francesca war zu dem Zeitpunkt mit Ricardo verlobt, aber noch unschuldig gewesen. Sie hatte sehr strenge Moralvorstellungen, wie es einer jungen Süditalienerin aus konservativem Milieu entsprach. Besonders in einer ländlichen Gegend. Sie hatte erst nach der Eheschließung, also mit dem Segen der Kirche und in allen Ehren, Sex mit ihrem Gatten gewollt. Dann jedoch umso heftiger, heißblütig, wie sie war.
Der Degen hatte also zwischen ihnen gelegen. Ricardo focht in der Nacht einen fürchterlichen Kampf mit sich selber aus. Vielmehr mit seinem Trieb. Es zerriss ihn fast innerlich. Ohne Francescas aufmunternde Nähe, seine Liebe zu ihr und ihren Zuspruch hätte er es nicht geschafft.
Alles ihm schrie danach, sich zu verwandeln. Der finstere Keim brodelte in seinem Blut. Sonst hatte er sich zu den kritischen Vollmondzeiten im Gewölbe der Burg einsperren lassen. Jetzt spürte er Francescas betörende Nähe, ihr Blut. Mit überscharfen Sinnen roch er jeden einzelnen Schweißtropfen von ihr.
Es drängte ihn, sich auf sie zu stürzen, ihre Knochen zu brechen, ihr warmes Fleisch mit seinen Werwolfkrallen zu zerfetzen und seine Zähne in sie zu senken. Im blutigen Rausch ihr Blut zu trinken und ihr Fleisch hinunterzuschlingen. Die Bestie in ihm tobte und wollte sich entfesseln.
Es hatte einer schier übermenschlichen Willenskraft bedurft, dem Trieb nicht nachzugeben. Nicht den Silberdegen zu packen, der zwischen ihnen lag, ihn wegzuwerfen und Francesca zu packen. Seinen Kräften hätte sie nichts entgegenzusetzen
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