Werwolfkind (German Edition)
seinem Rudel starb, war in ungeweihter Erde verscharrt worden. Beide hatten nach dem Tod wieder ihre menschliche Gestalt angenommen, doch nur Rosanna war von dem Fluch erlöst und reinen Herzens gestorben.
So sah es aus, im Jahr 1994, knapp zwei Jahre nach der Hochzeit Francescas mit dem Werwolf-Marchese. Doch seit dem Frühjahr hatte sich die Lage verschlechtert. Ricardo war unruhig, oft geistesabwesend. Eine geheime Sorge bedrückte ihn. Das verbarg er vor Francesca. Bis es jetzt, im September, zur Eskalation kam.
Ricardo beichtete endlich seine Sorgen und was in der letzten Vollmondnacht geschah.
2. Kapitel
»Ja, ich spürte, der Wolfskeim regte sich wieder in mir. Trotz Diät, und obwohl ich mich kasteite und mit aller Kraft meines Willens dagegen anging.«
»Hast du gebetet, Liebster?«
Der Marchese winkte ab.
»Ich bin nicht so gläubig wie du, Francesca.« So fromm war Francesca nun auch wieder nicht. »Wenn es einen Gott gibt, meint er es nicht gut mit den Lampedusas.«
»Das darfst du nicht sagen. Du bist der Werwolfkeim los geworden. Du…«
Francesca verstummte. Ihr fiel schlagartig ein, was sie gerade erlebt hatte – dass es ja nicht so war. Die Heilung war nur eine vorübergehende gewesen.
Marco schlummerte in seinem Bettchen mit den Gitterstäben an den Seiten. Er sah friedlich aus und hatte keine Behaarung mehr. Es ging auf den Morgen zu. Der Marchese berichtete weiter. Filomena und die drei anderen Bediensteten, die im Seitentrakt wohnten, hatten sich nicht gemeldet. Das Wolfsgeheul aus den Gewölben hörten sie nicht zum ersten Mal.
Das, was Ricardo von sich gegeben hatte, hatten sie den eingekerkerten Werwölfen zugeschrieben. Sie waren, glaubte Francesca, ahnungslos.
Ricardo schloss die Augen. Er erlebte alles noch einmal. Seit ein paar Monaten fand er bei Vollmond keine Ruhe mehr. Innere Unruhe quälte ihn. Es war immer schlimmer geworden. Er verschwieg und verbarg Francesca seinen Zustand. Professor Cascia, den er anrief, beruhigte ihn. Der Zustand sei nur vorübergehend.
Die Unruhe würde sich wieder legen. Die Zeremonie mit dem Silberdegen und Ricardos Willenskraft habe die Macht der Lykanthropie gebrochen. In der letzten Nacht war es schlimmer denn je. Ricardo verließ das eheliche Schlafzimmer. Francesca schlummerte tief und fest.
Zärtlich hatte ihr der Marchese über die Stirn gestrichen. Im Vorzimmer zog er sich an. Er war eher ein Nachtmensch, Francesca hatte einen anderen Tag-Nacht-Rhythmus als er. Sie zwang ihm diesen nicht auf und war es gewöhnt, dass Ricardo mitunter nachts die Bibliothek aufsuchte oder sich sonstwie die Zeit vertrieb, bis er sich wieder neben sie legte und einschlief.
In dieser Nacht war sie nicht aufgewacht, als er ging. Ricardo durchstreifte das Schloss – er ging hinaus auf den Hof. Im Schlosshof stellte er sich in den Schatten und schaute auf den breiten mondhellen Streifen. Der Vollmond entfaltete bei ihm seine magische Kraft.
Ricardos Sinne wurden schärfer. Er witterte in die Nacht, er konnte sogar eine Maus über den Boden huschen hören. Und er vernahm das dumpfe und schaurige Geheul aus den Gewölben. Es drängte ihn, ins Mondlicht zu laufen, sich die Kleider vom Leib zu reißen und im Licht des Vollmonds zu baden.
Sich zu verwandeln, die Nacht zu durchstreifen. Nur einmal, dachte er, einmal noch, ein einziges Mal. Doch er unterdrückte den Drang. Seine Muskeln verhärteten sich. Das Blut strömte anders als sonst durch seine Adern. Da war etwas in ihm, etwas Fremdes und doch Vertrautes.
Es lockte und rief ihn. Die Falle wollte zuschnappen. Wenn Ricardo einmal dem Drang nachgab, die Verwandlung gestattete, dann kam er nicht mehr davon los. Was dann – sollte er sich wieder bei Vollmond anketten und einschließen lassen? Würde das auf Dauer gut gehen, oder würde er zu einer wilden Bestie mutieren, wie Benito es war?
Sein Herz hämmerte. Dann hörte er, wie sich ein Auto dem Castello am Berg näherte und im Wald hielt. Als normaler Mensch hätte Ricardo das nicht vernommen. Er fragte sich, wer das war, der mitten in der Nacht in der Nähe von seinem Schloss hielt. Ein Liebespaar konnte es nicht sein.
Auch jetzt war das Castello verrufen. Kein Dorfbewohner näherte sich ihm bei Vollmond. Ricardo zögerte und lauschte mit überscharfen Sinnen. Er hörte, wie die Autotür zuschlug. Es musste sich um einen Geländewagen handeln, denn dort, wo er parkte, konnte keine Limousine hin.
Der Marchese vernahm Stimmen. Sie
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