Werwolfkind (German Edition)
wurde vom Roten Baron Manfred von Richthofen bei einem spektakulären Luftkampf abgeschossen – den Aufprall am Boden und das Verbrennen im Flugzeugwrack, von dem nur glühende Teile übrig blieben, überstand auch ein Werwolf nicht. Ricardo hatte Francesca ein einziges Mal, als er reichlich dem Wein zugesprochen hatte, gestanden, sein Urgroßvater habe damals im 1. Weltkrieg als Werwolf gemordet, wenn ihn der Trieb überkam.
Ricardos Großvater war 1907 geboren und 1941 gestorben. Er war ein Widerstandskämpfer gegen die Faschisten gewesen. Ob er als Widerstandskämpfer in Werwolfgestalt getötet hatte, wusste Ricardo nicht. Er bezeichnete seinen Großvater Lorenzo als Patrioten.
»Ein Patriot und ein Werwolf, das ist er gewesen«, pflegte der Marchese bei den seltenen Gelegenheiten zu sagen, bei denen er mit Francesca über seine Familie sprach. »Die Faschisten haben ihn umgebracht. Mussolinis Schergen. Oh, sie wussten sehr wohl, dass er ein Lykanthrop ist. Als er sich in seiner menschlichen Gestalt weigerte, für sie zu arbeiten, jagten sie ihm der Sicherheit halber eine Silberkugel ins Herz, nachdem sie ihn gefoltert hatten. Sein Leichnam wurde verbrannt.«
»Woher weißt du das?«, hatte Francesca gefragt.
»Einer der Beteiligten, den später nach dem Krieg sein Gewissen plagte, ließ es meine Familie wissen. Er bat um Vergebung, er wäre verblendet gewesen. Er war nur ein Mittäter. Sie wurde ihm gewährt – von meinem Vater, der ein weitblickender, edler Mann war.«
»Dann bist du nach ihm geraten.«
Francesca liebte ihren Mann über alles, doch es war eine schwere Belastung für die mittlerweile 21jährige, mit einem Werwolf – oder wie sie gehofft hatte früheren Werwolf – verheiratet zu sein. Die Liebe überwindet alles, wenn sie nur stark genug ist, hatte Francesca immer gedacht.
Sie hoffte es immer noch.
Ricardo war 17 Jahre älter als Francesca. Ein großer, stattlicher, gutaussehender Mann, schlank und dennoch muskulös, mit schwarzen Haaren und über der Nasenwurzel zusammengewachsenen Augenbrauen. Seine regelmäßigen, männlich-markanten Gesichtszüge verhinderten jedoch, dass er düster oder bedrohlich wirkte. Früher war immer ein Hauch von Melancholie um ihn gewesen.
Seit er mit Francesca zusammen war, hatte sich das gebessert.
In jener Nacht, als sie ihn vom Söller holte, hatte Ricardo geweint wie ein kleines Kind. Sein bitteres Schluchzen und seine Verzweiflung brachen Francesca fast das Herz. Sie schloss ihn in ihre Arme und streichelte ihn wie ein kleines Kind.
»Mein Vater hat immer gegen den Werwolftrieb angekämpft«, sagte er ihr. »Er meinte, erfolgreich zu sein – er hielt eine strenge Diät, kasteite sich und betete und fastete. Bei Vollmond ließ er sich in einem Verlies im Keller anketten.«
Jeweils der erste Sohn der di Lampedusas war ein Werwolf.
Die erste Frau von Ricardos Vater war im Kindbett gestorben. Marchese Silvio hatte mit ihr ein Kind, einen Sohn. Den zog er auf und versuchte, auch später mit Ricardos Mutter, seiner zweiten Frau, zusammen, alles, um Benito auf dem rechten Weg zu halten. Fünf Jahre nach Benito wurde Ricardo geboren. Sein älterer Halbbruder gab dem finsteren Drang schon sehr früh nach. Er mordete Vieh und auch Menschen. Ein Werwolf, der einmal gemordet hatte, war davon nicht mehr abzubringen. Marchese Silvio wollte ihn für seine Untaten umbringen, als er merkte, wie sich Benito entwickelt hatte. Benito verbarg es lange. Er floh in die Berge, bevor ihn der Zorn seines Vaters ereilte – fünfzehn Jahre war er damals alt. Der Werwolf überlebte. Durch seine Mordgier war er eine besondere und bestialische Art von Werwolf geworden. Er hatte nur an drei Tagen im Monat, vom dreizehnten bis zum sechzehnten Tag nach dem Vollmond, seine menschliche Gestalt. Während der anderen Zeit war er ein Wolf. Er hatte andere mit dem Werwolfkeim infiziert und schreckliche Dinge getan. Er hasste für alles, was dieser war. Er hatte Sophia getötet, Marchese Ricardos erste Frau. Benito hatte sie aus dem Schloss in eine Falle gelockt und zerrissen.
»Benito gaukelte Sophia vor, er hätte mich in seiner Gewalt«, erzählte Ricardo Francesca. »Als sie herbeieilte, um mich zu retten, tötete er sie im Steinbruch. Ich fand nur noch ihre Leiche mit zerrissener Kehle. Benito lachte mich aus.«
Mit seiner ersten Frau hatte Ricardo kein Kind gehabt. Ricardos Eltern waren schon früh gestorben, seine Mutter bei einem Autounfall, als die Bremsen ihres Wagens
Weitere Kostenlose Bücher