Werwolfkind (German Edition)
hatte in dem Städtchen Caulonia eine Lehrstelle als Automechaniker gefunden. Er war mit Feuereifer dabei – in der Schule war er im Gegensatz zu Francesca keine Leuchte gewesen.
Er hatte sehr ungern gelernt. Er nannte sich einen Saisonarbeiter, was das schulische Lernen betraf. Nur kam die Saison nie. Rosa, Francescas kleine, mittlerweile zwölfjährige Schwester war geistig zurückgeblieben.
Sie hatte den Stand einer Dreijährigen und spielte mit Puppen. Körperlich war sie jedoch über ihr Alter hinaus reif – sie hatte mit zehneinhalb Jahren ihre Regel bekommen und sah aus wie fünfzehn oder schon sechzehn, mit großen Brüsten, langen Beinen und einer schlanken, doch durchaus kräftigen Figur.
Sie war herzensgut und schlug nicht mal eine Fliege tot.
Francescas Mutter Domenica ging es dank der teuren Medikamente und Klinik- und Kuraufenthalte, die ihr Ricardo ermöglich und bezahlte, besser. Sie litt unheilbar an einer fortgeschrittenen Lungenfibrose, die Ursache dafür war unbekannt. Sie war auf kortisonhaltige Medikamente angewiesen, ihren Haushalt konnte sie kaum noch erledigen.
Eine Lungentransplatation wurde für sie in Erwägung gezogen. Doch dagegen war die streng gläubige Frau strikt eingestellt. Zudem war die Warteliste für Spenderlungen immens lang.
Die Montalbas waren längst schuldenfrei und lebten in für ihre Verhältnisse guten Umständen. Francescas Vater schuftete immer noch auf seinen steinigen, kargen Feldern. Das hatte er immer getan, er kannte nichts anderes. Er hatte sich jedoch durch Ricardos Finanzspritzen einen neuen Traktor und einiges andere leisten können. Ihn dazu zu überreden, die finanzielle Hilfe des Marchese in Anspruch zu nehmen, war jeweils ein schwerer Akt.
Der abgearbeitete Mann war verbohrt und stolz. Er hatte die Heirat Francescas mit dem Marchese gewollt, hauptsächlich wegen seiner Frau. Auf das staatliche Gesundheitssystem angewiesen wäre Francescas Mutter schon tot gewesen. Zudem wollte ihr Vater nicht Haus und Hof verlieren, die Zwangsversteigerung hatte bevorgestanden.
Doch auf Marchese Ricardos Kosten leben und sich auf die faule Haut legen mochte Michele Montalba nicht. Er war ein knorriger Mann, durch die harte körperliche Arbeit von Kind auf stark und zäh. Er verprügelte zwei jungen Burschen aus dem Dorf, als sie ihn einen Kuppler und Mitgiftjäger nannten.
Danach munkelte keiner mehr, er habe seine schöne Tochter an den Marchese verschachert, wenn die Gefahr bestand, dass er es hören oder davon Wind bekommen konnte. Der Kleinbauer hatte auch mit dem Dorfpfarrer Don Pasquale ein ernstes Wort gesprochen.
Der dickliche Pfarrer, der jahraus, jahrein in einer Soutane mit durchgehender vertikaler Knopfleiste herumlief, hatte daraufhin von seiner Kanzel aus sonntags gegen den Aberglauben gepredigt.
»Es gibt keine Werwölfe«, hatte er gesagt. »Es sind normale Bergwölfe gewesen, die hier in der Gegend Schafe rissen und die Rosanna Andrigotti und andere auf dem Gewissen haben. Es ist Sünde, dergleichen Mummenschanz zu glauben. – Der Herr hat uns heimgesucht und geprüft. Das ist jetzt vorbei. Man hört kein Wolfsgeheul mehr des Nachts.«
Der Seelenhirte erwähnte nicht, dass er sich jeweils verkrochen hatte, als die Gefahr akut gewesen war. Er wie auch andere verdrängten die abergläubische Furcht. Doch ein Misstrauen blieb.
Den Haushalt der Montalbas erledigte hauptsächlich eine Frau aus dem Dorf, eine entfernte Verwandte der Montalbas, die Signora Andrigotti. Der Marchese di Lampedusa war nicht mehr so verrufen, seit er mit Francesca verheiratet war. Sie war im Dorf wegen ihres freundlichen Wesens beliebt gewesen, andererseits hatte sie wegen ihrer Schönheit auch Neider gehabt. Ihr früher Verlobter, der Schullehrer Mario Sciaso, für die ersten vier Schulklassen in der Zwergschule von San Clemente zuständig, hatte sich mit ihrem Verlust abgefunden.
In der Dorfschule wurden nur die ersten vier Klassen unterrichtet, danach ging es mit der Schule in Caulonia weiter. Ein Bus brachte die Schüler hin und zurück.
Die Dorfbewohner von San Clemente betrachteten den Marchese noch immer mit Argwohn. Doch seit es keine Wolfsüberfälle mehr in der Gegend gab, hatte sich das Gerede gelegt. Francescas Cousine Rosanna war durch die Schuld des Werwolfs Benito di Lampedusa ums Leben gekommen. Sie lag auf dem Dorffriedhof begraben, allezeit befanden sich frischen Blumen auf ihrem Grab.
Einen anderen Wolfsblütler, der beim Showdown mit Benito und
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