Wes - Wächter der Nacht
„Ich dachte, wenn ich schon nicht fliegen kann, sollte ich besser lernen, wenigstens perfekt zu balancieren.“
Sie vergrub ihre Finger tiefer in seinen Haaren. „Und nachdem du dir einmal das Handgelenk gebrochen hast, ist dir nie in den Sinn gekommen …“
„Und die Nase.“ Er schloss kurz die Augen und seufzte.
„Also das Handgelenk und die Nase – und dir ist nie in den Sinn gekommen, dass du abrutschen, fallen und dir noch etwas anderes brechen könntest?“
„Das war ja der Sinn der Sache“, erklärte er. „Ich wollte so gut werden, dass ich nie wieder fallen würde.“
„Und, hat es funktioniert?“
Er lachte. „Na ja, sagen wir so: Ich bin nie wieder unbeabsichtigt gefallen. Oder ohne geschubst zu werden.“
Sie rückte von ihm ab. „Geschubst? Vom Dach geschubst?“
Wes legte den Arm um sie und zog sie wieder an sich. „Ich habe mich als Kind ziemlich oft geprügelt. Die anderen dachten, mit mir könnten sie’s machen, weil ich klein war, weißt du? Also musste ich mich prügeln, um zu beweisen, dass ich ein echter Kerl war. Manchmal bewies ich damit allerdings nur, wie übel ein Kind von ein Meter fünfundsiebzig Größe und siebzig Kilo Gewicht ein anderes Kind zurichten kann, dass nur eins siebenundvierzig groß ist und zweiundvierzig Kilo wiegt. Trotzdem blieb ich meistens Sieger, weil ich ein echtes Stehaufmännchen war. Sie haben mich zu Boden geschlagen, und ich bin wieder aufgestanden und auf sie losgegangen.“ Er berührte leicht ihre Halskette, hob mit einem Finger den Anhänger. „Das ist sehr hübsch.“
Sie ließ sich nicht so leicht ablenken. „Sag jetzt bitte nicht, dass du dich sogar auf den Dächern geprügelt hast.“
„Ich habe Prügeleien angezogen wie ein Magnet“, gab er zu, ließ ihre Kette los und zeichnete mit dem Finger sanft ihr Schlüsselbein nach – was deutlich schwerer zu ignorieren war. „Ich habe es sogar geschafft, in der Kirche in Prügeleien verwickelt zu werden.“
„Oh Gott, du warst vermutlich genauso wie Andy mit dreizehn! Ihn brauchte nur jemand schief anzusehen, und Sekunden später wälzten sich beide im Staub und prügelten aufeinander ein. Deine Mutter muss vorzeitig graue Haare bekommen haben.“ Sie klang schon wieder atemlos. Hoffentlich hielt er das für Schauspielerei!
Er zog sie noch enger an sich, und jetzt konnte es keinen Zweifel mehr geben. Niemand auf dieser Party konnte auch nur im Geringsten daran zweifeln, dass sie unsterblich ineinander verliebt waren. Dabei waren sie im Gegensatz zu allen anderen Anwesenden keine Schauspieler.
„Weißt du, mein ältester Bruder wurde Priester“, erklärte er. „Außerdem bekam er in der Schule immer die besten Noten. Das wog sozusagen den ganzen Ärger auf, den ich machte.“
„Ich hätte vermutet, dass dadurch für dich alles viel schwerer zu ertragen war. Für ein Kind muss es verdammt hart sein, einen perfekten älteren Bruder zu haben. Natürlich kann es genauso schwer sein, wenn ein jüngeres Geschwisterkind das perfekte ist.“
„Niemand ist perfekt“, erwiderte er, „nicht einmal Frank.“
„Melody war es“, widersprach Brittany. „Sie war es wirklich. Nein, sie ist es. Sie ist wirklich so unglaublich nett. Sie tut nicht nur so, weißt du.“
„Du bist auch nett“, gab er zurück. „Du tust zwar so, als wärst du es nicht, du versuchst es zu verbergen, aber ich glaube, du bist sogar noch netter als sie.“
Brittany versuchte sich mit einem Witz aus der Situation zu retten. „Ist das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung, Baby?“
Wes lächelte nur. „Nimm es, wie du möchtest. Zufällig halte ich dich für die netteste, klügste, witzigste und, ja, auch die hübscheste Frau, die mir je begegnet ist.“
Er war ihr so nah, sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt. Brittany dachte wirklich nicht nach, bevor sie es tat. Es schien einfach eine selbstverständliche und natürliche Reaktion, nachdem er etwas so Nettes gesagt hatte.
Sie küsste ihn.
Es war nur ein leichter Kuss. Ihre Lippen streiften kaum spürbar die seinen.
Aber als sie sich von ihm löste, wirkte er schockiert. Er packte sie fester, öffnete den Mund und holte tief Luft, zweifellos, um ihr zu sagen, dass sie in diesem Spiel, das sie spielten, eine Grenze überschritten habe. Im selben Moment schrie jemand am anderen Ende des Swimmingpools.
Kein scherzhaftes Kreischen, sondern ein Schreckensschrei. Andere begannen ebenfalls zu schreien.
Menschen wichen hastig zurück und
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