Wes - Wächter der Nacht
lauten Musik der Salsaband hören könnte. „Möchtest du etwas trinken? Oder ich weiß was Besseres. Gleich um die Ecke gibt es ein Eiscafé.“
Sie ließ sich von ihm von der Tanzfläche führen.
Die Menschen drängten sich dicht an dicht. Selbst vor der Tanzfläche konnte man sich kaum bewegen, aber alle lächelten und vergnügten sich.
Als sie endlich die Lautsprecherboxen der Band weit hinter sich gelassen hatten, sagte sie: „Du kennst dich hier richtig gut aus.“
Er warf ihr einen Blick zu. „Ja. Ich bin schon öfter hier gewesen.“
„In Old Town San Diego?“ Sie musterte ihn mit hochgezogenen Brauen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du Interesse an einem Museumsdorf hast.“
„Na ja, nun …“ Er wurde tatsächlich rot. „Ich habe Interesse, weißt du. An Geschichte. Ich liebe solche Plätze.“
„Wirklich?“ Sie blieb stehen, und jemand lief in sie hinein. „Entschuldigung.“ Sie zog Wes aus dem Menschenstrom.
„Ich weiß, es ist dumm“, sagte er.
„Nein, das ist es nicht.“
„Ja. Nein. Ich weiß, dass es nicht dumm ist, hierherzukommen. Ich meine, es ist dumm, das geheim zu halten. Es ist … Ich habe bei den SEALs einen bestimmten Ruf, weißt du? Tätowierung. Motorrad. Obszönitäten. Ich gebe mir allergrößte Mühe, mich in deiner Gegenwart anständig auszudrücken, weißt du.“
„Und ich weiß das zu schätzen“, sagte sie. „Aber ich verstehe trotzdem nicht. Glaubst du, man würde es dir übel nehmen, wenn du erkennen lässt, wie intelligent du bist? Wenn du woandershin gehst als in Billardclubs und Miss-Wet-T-Shirt-Bars?“
Er lachte. „Nein, so meine ich das nicht.“ Er suchte nach Worten. „Die meisten SEALs sind ausgesprochen schlaueBurschen. Harvard hat zum Beispiel wirklich die Harvard University besucht. Ich sage dir, einige von den Jungs sind sch… sind wahre Genies. Sogar Bobby. Er liest sehr viel. Andauernd empfiehlt er mir Bücher, aber … Ich lese wirklich langsam. Ich meine, er hat ein Buch in einer Woche durch, und ich brauche dafür zwei Monate. Vielleicht. Also trage ich es die ganze Zeit mit mir herum und fange an, mir vorzukommen, als wäre ich … Ach, ich weiß nicht.“
„Was? Du kommst dir vor, als wärst du was?“
Er musterte sie, und sie wusste, dass er überlegte, wie weit er ihr wirklich vertraute.
„Dumm“, gab er schließlich zu, und es schnürte ihr die Kehle zusammen. Dass er ihr das sagte, war beinah noch besser als Ich liebe dich. Beinah. „Ich musste es mir mühselig erarbeiten, Chief zu werden, Britt. Bobby hat das sozusagen mit links geschafft. All der Lesestoff und der schriftliche Mist – entschuldige –, das fiel mir unheimlich schwer.“
„Bist du Legastheniker?“, fragte sie.
„Nein.“ Er lächelte gezwungen. „Ich wünschte, ich könnte diese Ausrede benutzen. Ich bin einfach nur … langsam.“
„Vielleicht beim Lesen“, antwortete sie, „aber sonst … Ich halte dich weder für dumm noch für langsam, Wes. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der so schlagfertig gewesen wäre wie du – und Schlagfertigkeit setzt für meine Begriffe Klugheit voraus. Dir fällt Lesen also schwer. Na und? Deshalb bist du noch lange nicht dumm. Du musst nur andere Wege gehen, wenn du etwas lernen willst. Zum Beispiel, indem du einen Ort wie dieses Museumsdorf aufsuchst und eine Führung mitmachst. So kannst du dir alles anhören, statt dich durch ein altes verstaubtes Buch zu kämpfen.“
Sein Lächeln wirkte jetzt viel echter. „Ja, ich weiß. Ich schaue sehr gern den History Channel im Fernsehen. Außerdem höre ich mir manchmal Hörbücher an.“
Gott, ganz bestimmt erzählte er ihr Dinge, die er noch niemandem erzählt hatte. Nicht einmal seinem besten Freund Bobby.
Das war gut, denn wenn sie nicht aufpasste, würde sie aussprechen, was sie dachte. Nämlich, dass sie ihn liebte und sich, je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, immer mehr in ihn verliebte.
Stattdessen küsste sie ihn. Sie versuchte ihn wenigstens halb so zärtlich zu küssen, wie er sie das erste Mal geküsst hatte, in Amber Tierneys Haus.
„Dir kann ich alles erzählen, und du magst mich immer noch, hm?“, fragte er leise.
„Ja, du kannst mir alles erzählen, und ich werde es auch niemals jemandem weitersagen.“
Seine Augen leuchteten so blau. „Das ist ein schönes Gefühl“, sagte er, „dir so vertrauen zu können. Du weißt, dass du umgekehrt auch mir vertrauen kannst.“
Sie nickte. „Ich weiß. Aber ich habe keine
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