Wesen der Nacht
darüber, wie weit ich ihm noch vertrauen konnte oder wollte. Bevor er antworten konnte, machte ich kehrt und verließ den Keller. Meine Flucht endete an Dads Schreibtisch, wo ich mich in den Stuhl fallen ließ. Wie konnte Derek von mir erwarten, dass ich mit Cale zusammen im Haus blieb, solange mein Herz gegen meinen Verstand ankämpfte und ich nichts lieber getan hätte, als die Zellentür aufzureißen und ihn freizulassen!
Ein paar Minuten saß ich einfach nur da und versuchte Cales Blick loszuwerden, diesen verzweifelten »I ch bin dir ausgeliefert, hilf mir!«-Blick, als mich ein vertrautes Tappen aus meinen Gedanken riss. Drizzle war mir gefolgt und kletterte vor mir auf den Schreibtisch.
»D u steckst ganz schön in der Klemme, Babe.«
»A ch ja?« Was wusste der Kobold über Cale und mich. Oder über meine Gefühle?
»S chau nicht so! Man muss nun wirklich kein Geistwandler sein, um zu wissen, was mit dir los ist. Meine Güte, deutlicher könnte es nur noch werden, wenn du ihn ansabbern würdest.« Er verdrehte die Augen. »J etzt krieg dich wieder ein, so was kann passieren.«
»D u findest es nicht schlimm?«, fragte ich überrascht. »W arst nicht du derjenige, der sagte, Geistwandler seien fiese Drecksäcke, die einem eine Gehirnwäsche verpassen.«
»J a, ja, kann schon sein.« Sein Blick wanderte in Richtung Keller. »A ber der da ist anders.« Er schüttelte den Kopf. »V or allem in Bezug auf dich…«
»I ch möchte ihn ja freilassen, Drizzle. Aber ich kann es nicht, weil ich weiß, dass…«
»D ass er nicht hierher gehört?«
Ich nickte.
»W arum hast du mich nicht eingesperrt?«
Ich war nicht einmal ernsthaft auf die Idee gekommen, dass ich ihn wieder in diese Kiste verfrachten könnte. Dass er ebenso wenig hierher gehörte wie Cale. »D u bist…«
»K lein? Unschuldig? Harmlos?« Er wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.
Wohl eher nervtötend, laut und versoffen. »V ermutlich nichts davon«, seufzte ich. Aber ich hatte seine Hilfe gebraucht und dann war ich froh gewesen, dass er für mich dagewesen war.
Drizzle setzte sich auf die Schreibtischkante. »A ber deinen Freund da unten willst du wegsperren?«
Ich seufzte wieder. »A ch, Drizzle, ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich will.«
»M ir scheint, du weißt ganz genau, was du willst.«
»N icht immer ist das, was wir wollen, auch das Richtige.«
»D ann solltest du herausfinden, was das Richtige ist.«
»W enn es nur so einfach wäre.«
»B ei Großmutters haarigem Hintern! Jetzt stell dich nicht so an. Oder bist du doch das dumme Ding, als das ich dich nicht bezeichnen soll? Ein bisschen denken, ein bisschen abwägen– entscheiden. Fertig.«
Ganz so einfach war es leider nicht. Mein Dad war der Torwächter. Meine Entscheidung würde auch Konsequenzen für ihn und seine Arbeit haben, ganz zu schweigen davon, dass er unendlich enttäuscht wäre, wenn ich gegen die Regeln verstieß. »D ann fange ich mal mit dem Denken an.« Ich lehnte mich wieder zurück und hob die Beine, um sie auf die Tischplatte zu legen, als mein Blick auf eine Erhebung an der Seite des Schubladenteils fiel. Das Geheimfach. Nach allem, was seit dem Auftauchen des Schattens passiert war, hatte ich es vollkommen vergessen. Ich ließ die Füße wieder auf den Boden fallen und glitt aus dem Stuhl, unter den Tisch. Das Fach ließ sich mühelos öffnen. Dahinter befand sich eine weitere Schublade. Ich zog sie heraus, kroch unter dem Tisch hervor und stellte sie darauf ab. Drizzle rückte neugierig näher, während ich den Holzdeckel hob, der das Fach verschloss. Darunter kam ein abgegriffenes Lederjournal zum Vorschein. Als ich es herausnahm, entdeckte ich noch mehr. Ein Paar silberne Jägerhandschellen mit Schlüssel und einen rot schimmernden Steinsplitter, kaum größer als mein Daumennagel.
»V erfluchter Jenseitsdreck!«, entfuhr es dem Kobold beim Anblick des Splitters. »W as für ein Schätzchen!«
»D u weißt, was das ist?«
»D rizzle Ebb weiß eine Menge!« Er deutete auf den roten Steinsplitter. »U nd was du da in der Hand hältst, ist ebenfalls eine Menge– Geld oder Magie, je nachdem, was du damit anfangen willst.«
»D u sprichst in Rätseln.«
»D u bist nur nicht in der Lage, meinem brillanten Geist zu folgen, Babe«, hielt er dagegen. »D as da ist ein Splitter aus einem Herzstein. Sag jetzt nicht, davon hast du auch noch nie etwas gehört!«
Es war der Teil eines Dämonenherzens, der da in meiner Handfläche lag. Jener
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