Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
Vom Netzwerk:
wirkte. Schuld daran war die Mischung aus holzgetäfelten Wänden, dunklen Möbeln und schweren, gemusterten Vorhängen, die nur wenig Licht durch das kleine Fenster einließen. Vor dem Kamin thronte ein dunkles Ledersofa, mit dem Rücken zu uns, sodass ich von den beiden Männern darauf lediglich einen grauen und einen braunen Haarschopf erkennen konnte. Neben dem Fenster stand ein weiterer Mann. Er hielt ein Whiskyglas in der Hand und betrachtete die bernsteinfarbene Flüssigkeit darin, die der Farbe seines Haares ähnelte. Als wir das Wohnzimmer betraten, richtete sich seine Aufmerksamkeit auf uns. Ein Lächeln zeigte sich auf seinen Zügen, weitaus freundlicher als das von Marissa.
    »U nser Gast ist hier.« Seine sonore Stimme durchdrang den Raum, und während ich mich noch fragte, warum er von Gast in der Einzahl sprach, drehten sich die beiden Männer auf dem Sofa um.
    Erstarrt hielt ich mitten im Raum inne, als ich den Dunkelhaarigen erkannte– es war der Student aus London. Kein Student, korrigierte ich mich. Ein Hüter der alten Welt. Als sich unsere Blicke trafen, schien die Zeit stillzustehen. Die Erinnerung daran, wie er mich damals mit seinen Komplizen zu entführen versucht hatte, stieg in mir auf. Die Tätowierung. Der Sack, den sie mir über den Kopf gestülpt hatten. Die Hilflosigkeit, die ich verspürt hatte. Während ich den vermeintlichen Studenten anstarrte, wurde mir bewusst, dass er nicht so jung war, wie er auf den ersten Blick wirkte. Dünne Linien umgaben seine Augen wie ein Netz und an seinen Schläfen glaubte ich erste graue Haare zu entdecken. Obwohl es mir wie eine Ewigkeit vorkam, waren bestenfalls ein paar Sekunden vergangen, bevor ich meine Überraschung überwand und zu Derek herumfuhr, der im Türrahmen stehen geblieben war.
    »D ie haben dich reingelegt!«, rief ich. »R aus hier!«
    Er rührte sich nicht.
    »D erek!«
    »M ach dir keine Sorgen, Mädchen.« Ein Mann erschien hinter Derek in der Tür, ein dunkler Schatten, dessen Gesicht ich erst erkannte, als er ins Wohnzimmer trat und sich vor Derek stellte. »A lles hat seine Richtigkeit.«
    Es war der Kerl aus dem Supermarkt.
    Der Mann, der mir gefolgt war und der angeblich nicht mehr in meine Nähe kommen konnte, wegen dieses magischen Dings, das Derek ihm verpasst hatte. Da begriff ich es endlich. Mein Blick schoss zu Derek. »W arum?«
    Statt einer Antwort, verschränkte er nur die Arme vor der Brust und beobachtete schweigend, wie zwei der Männer an meine Seite traten, mich bei den Armen packten und an ihm vorbei aus dem Wohnzimmer schleiften. Ich tat, als würde ich ihnen bereitwillig folgen, um zu verhindern, dass sie ihren Griff weiter verstärkten. Als wir die Hälfte des Flurs durchquert hatten, riss ich mit aller Kraft meine Arme zurück. Es gelang mir, mich einem der beiden zu entwinden, der andere hielt mich jedoch noch immer umklammert und versuchte, mich auch mit der zweiten Hand zu fassen zu kriegen. Mit der freien Hand griff ich in meine Hosentasche. Der Elektroschocker summte leise, als ich ihn anschaltete. Bevor ich ihn jedoch ansetzen konnte, packte der Kerl meinen Arm und riss mich so hart herum, dass ich gegen die Wand knallte. Meine Waffe entglitt mir und fiel polternd zu Boden. Einen Herzschlag später hatte auch der andere mich wieder im Griff. Ich wehrte mich, versuchte, mich erneut loszureißen, aber noch einmal ließen sie sich nicht überrumpeln. Ich schrie und strampelte, doch meine Gegenwehr war genauso sinnlos wie meine Hilferufe, die in dieser Einöde niemand hören konnte.
    Sie zerrten mich eine ausgetretene Steintreppe hinunter, in einen feuchten und nahezu finsteren Keller. Unten angekommen, schob sich Marissa an uns vorbei. Vor uns öffnete sie einen Riegel und ein gewaltiges Vorhängeschloss und zog eine Tür auf. Die Männer stießen mich in den dahinter liegenden Raum. Ein quadratischer Kerker aus grobem Stein, dessen einziger Inhalt Staub und Spinnweben und ein roter Eimer zu sein schienen. Die Luft war erfüllt von einem unangenehmen Geruch, einer Mischung aus Schweiß, Moder und Ausscheidungen. Offenbar war ich nicht die Erste, die in dieses Verlies geworfen wurde. Die Tür krachte zu und ich hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde und das Vorhängeschloss einschnappte.
    Ich wirbelte herum, packte den Türgriff und rüttelte daran, doch die Tür war so massiv, dass sie sich keinen Millimeter rührte. »V erdammt!« Ich schlug mit der Faust gegen das Holz, mehr aus Verzweiflung und

Weitere Kostenlose Bücher