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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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korrigierte, änderte das nichts an unserer Situation. Es erkaufte uns ein wenig Zeit, doch spätestens wenn sie bemerkten, dass sich das Tor nicht öffnete, würden sie sich Dad vorknöpfen, um das Transferwort aus ihm herauszupressen.
    »J osh«, sagte der Grauhaarige zu dem Studenten. »B ereitet sie vor.«
    Der Student– Josh– packte mich und zog mich mit sich. Ein paar Schritte von der Höhlenwand und von der Stelle entfernt, an der sich das Tor befand, brachte er mich mit einem Ruck zum Stehen. Marissa, die uns gefolgt war, beugte sich zu einer Ledertasche herunter, die neben einem leeren Leinensack auf dem Boden lag, in dem sie die Fackeln transportiert haben mussten. Sie holte ein altes Marmeladeglas heraus, das mit einer braunen Paste gefüllt war. Vor mir blieb sie stehen, schraubte den Deckel ab und tauchte den Daumen hinein.
    »S org dafür, dass sie stillhält«, sagte sie zu Josh, woraufhin er mich fester packte.
    Die Paste war zäh und klebrig und fühlte sich kalt auf meiner Haut an, als sie begann, damit irgendwelche Zeichen oder Muster auf meine Stirn zu malen.
    Josh verfolgte jeden ihrer Handgriffe. »B ist du sicher, dass du weißt, was du tust? Solltest du nicht lieber die Vorlage zu Hilfe nehmen?«
    Marissa verdrehte die Augen. »W eißt du, wie oft ich diese Zeichen in den letzten Wochen geübt habe? Ich beherrsche sie im Schlaf. Wenn er«, sie deutete mit dem Kopf in Richtung des Grauhaarigen, »s ich später bei den Ritualworten nicht verhaspelt, wird alles funktionieren.« Sie fuhr fort mit ihren Zeichen. Während sie sich meinem Hals zuwandte, trocknete die Pampe auf meinem Gesicht. Sie juckte und meine Haut brannte. Wäre ich nicht gefesselt und von Joshs Griff zur Reglosigkeit verdammt gewesen, hätte ich versucht, mich zu kratzen, oder zumindest mein Gesicht an der Schulter zu reiben. Je länger die Paste auf meiner Haut war, desto unangenehmer wurde es. »V erflucht, was ist da drin? Brennnessel?«
    »K eine Sorge, bald wirst du nichts mehr spüren«, sagte Josh.
    Nie wieder, fügte Marissas Blick hinzu.
    Sehr tröstlich.
    Nachdem sie mit meiner Kopfregion fertig war, nahm sie ein Messer, schnitt meine Jacke auf und riss mir die Fetzen herunter, ohne meine Fesseln zu lösen. Der Stoff mochte klamm und kalt gewesen sein, doch ohne ihn war es eisig in der Höhle. Gänsehaut kroch über meine Arme und Schultern und breitete sich von dort über meinen Rücken aus, während Marissa meine nackten Arme mit ihrer juckenden Pampe bearbeitete. Mir kam es vor, als wären Stunden vergangen, in Wahrheit aber waren es wohl nur wenige Minuten gewesen, als sie endlich zurücktrat, das Glas verschloss und wieder in der Tasche verstaute.
    »W ir sind so weit!«, brüllte Josh über das Tosen des Wassers hinweg.
    Der Grauhaarige nickte ihm zu, sagte noch etwas zu Mick und dem Supermarkt-Typen und kam dann zu uns herüber. Als er die Hand ausstreckte, reichte Josh ihm ein Messer mit einer langen, gezackten Klinge. Keines der Teile, mit denen man Brot schnitt, sondern eines, das ich nur aus dem Fernsehen kannte, wo diese Art von Klinge so gut wie immer im Zusammenhang mit durchgeknallten Priestern und Menschenopfern vorkam.
    Die Panik, die sich in meiner Kehle zu einem dicken Kloß zusammenballte, drohte, mich zu ersticken. Sie würden mit mir tun, was sie mit Dad vorgehabt hatten– das Tor mit meinem Blut tränken, in der Hoffnung, dass es im Augenblick meines Todes zerstört wurde. Ich spürte die Angst, die sich immer weiter in mir ausbreitete und drohte, mich zu lähmen. Spürte, wie mir der Atem stockte und mein Herz so heftig schlug, dass ich fürchtete, es müsse explodieren. Gegen die Panikattacke ankämpfend, ballte ich die gefesselten Hände so fest zu Fäusten, dass sich meine Fingernägel in meine Handflächen gruben. Der Schmerz durchdrang den Schleier der Angst, der alles andere auszulöschen drohte, und gab mir die Kontrolle über meinen Verstand zurück.
    Noch war es nicht so weit, rief ich mir ins Gedächtnis. Um ihren Plan durchzuführen, musste sich erst das Tor öffnen. Nur, dass das nicht passieren würde.
    »W ie lange noch?«, fragte der Grauhaarige an Josh gewandt.
    Der Student kniff die Augen zusammen und versuchte einen Blick durch den Wasserfall hindurch zu erhaschen. Schließlich schüttelte er den Kopf und sah stattdessen auf seine Uhr. »N ur noch ein paar Minuten bis zum Mondaufgang.«
    Der Grauhaarige nickte und umfasste das Messer fester.

36
    Nur noch ein paar

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